Essstörungen

  • Was sind Essstörungen überhaupt?

    Gut ein Fünftel der elf- bis siebzehnjährigen Heranwachsenden zeigt Anzeichen einer Essstörung. Vor allem weibliche Jugendliche sind betroffen. Aber welche Essstörungen gibt es eigentlich?

    • Magersüchtige fühlen sich auch bei bestehendem Untergewicht immer zu dick. Den gewünschten Gewichtsverlust führen sie selbst herbei, z.B., indem sie nichts oder nur ganz wenig essen, übertrieben viel Sport treiben usw. Es kommt zu einem teilweise massiven Untergewicht mit gravierenden gesundheitlichen Folgen.
    • Menschen mit Bulimie sind häufig schlank und sportlich. In der Öffentlichkeit essen sie kontrolliert - meist fett- und kalorienarme Lebensmittel. Die Essanfälle, die für die Bulimie kennzeichnend sind, erfolgen heimlich. Die Betroffenen versuchen, die Essanfälle auf unterschiedliche Art „rückgängig“ zu machen: Sie erbrechen, hungern, nehmen Abführmittel oder treiben extrem viel Sport.
    • Bei der Binge-Eating-Störung werden viel zu große Portionen auffallend schnell heruntergeschlungen. Im Gegensatz zur Bulimie ergreifen Menschen, die an dieser Essstörung leiden, aber keine Gegenmaßnahmen: Die Betroffenen erbrechen danach nicht und nehmen auch keine Abführmittel oder andere Medikamente ein, um das Gewicht zu halten. Da während des Essanfalls sehr viele Kalorien aufgenommen werden, ist das Risiko groß, dass Menschen mit Binge-Eating-Störung übergewichtig werden.
  • Woran kann es liegen, dass mein Azubi ein gestörtes Essverhalten hat? Symptome und Ursachen

    Die Ursachen von Essstörungen sind vielschichtig. Zu unterscheiden sind biologische, individuelle, soziale und gesellschaftliche Faktoren. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt. Es kann jedoch eine Vielzahl weiterer Ursachen geben:

    • Selbstwertprobleme: Essstörungen können als Folge von psychischen Problemen entstehen, insbesondere durch Selbstwertprobleme. Magersüchtige und bulimische Jugendliche verknüpfen oft ihr Selbstwertgefühl mit der Erfüllung sozialer Normen (Schlankheitsideal) und der Meinung anderer Menschen. So wird Schlankheit mit Schönheit, Intelligenz und Erfolg gleichgesetzt. Tatsächlich hat sich jedoch das durchschnittliche Körpergewicht in Deutschland bei gestiegenem Nahrungsmittelangebot und abnehmender körperlicher Arbeit erhöht. Daher erleben viele Menschen eine Abweichung zwischen ihrer Figur und dem z. B. durch Werbung vorgegebenen Schlankheitsideal. Daraus resultierende Gefühle von Scham, Schuld und eigenem Versagen führen oft dazu, dass sich die Betroffenen erst nach mehreren Jahren der Erkrankung in Behandlung begeben. Kompliziert wird eine Essstörung, wenn sie von Ängsten, Depressionen und Versuchen der Selbstmedikation begleitet wird.
    • Lernerfahrungen: Die elterliche Einstellung zu körperlicher Aktivität sowie familiäre Ess- und Trinkgewohnheiten haben Modellcharakter. Übergewichtige Kinder und Jugendliche haben nicht selten übergewichtige Eltern. Auch wenn Süßigkeiten als Belohnung oder Seelentröster eingesetzt werden, kann der normale Prozess von Hunger und Sättigung gestört werden.
    • starre familiäre Strukturen und Konflikte: Unumstößliche Werte, Regeln und Verhaltensweisen, die einer Familie scheinbare Sicherheit geben, aber dem Einzelnen die Luft zum Atmen und zur Entwicklung nehmen, tragen häufig zur Entstehung einer Essstörung bei. Erfahren Kinder und Jugendliche in ihrer Familie zu viel oder zu wenig Freiheit, fällt es ihnen schwer, innere Maßstäbe und Regulationsmechanismen zur eigenen Lebensführung zu entwickeln. Fehlende Regulationsmechanismen tragen wiederum dazu bei, dass sich das soziale Verhalten ebenso wie das Essverhalten ohne rechtes Maß entwickelt.
    • sexueller, körperlicher und emotionaler Missbrauch, vor allem im familiären Rahmen, ist ein Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer Essstörung. Das „Ergebnis“ der Gewalt ist ein negatives Selbstbild sowie die Entwicklung einer negativen Lebenseinstellung. Die für das Kind wichtigen Vorbilder (Eltern) zeigen dem Kind eine Welt, die aus subtiler oder schwerer Gewalt besteht. Während die Magersucht mit ihren mentalen und körperlichen Wirkungen der Täterseite Grenzen aufzeigt („Hier habe ich die Kontrolle!“) und die Bulimie die erlebten Übergriffe im Wortsinne „auskotzt", baut Fettleibigkeit einen emotionalen und körperlichen Schutzwall auf. Aber Vorsicht: Wenn jemand eine Essstörung hat, darf man nicht automatisch darauf schließen, dass ein Missbrauch vorliegt!
    • soziale Zuwendung: Magersüchtige Jugendliche erfahren durch die erreichte Gewichtsabnahme zunächst Aufmerksamkeit und Anerkennung. Strikt kontrolliertes Essen verleiht ihnen Stärke, Selbstsicherheit, Überlegenheit und oftmals Attraktivität. Die in der Familie oder im Freundeskreis erfahrene Zuwendung ist ein positiver Verstärker dafür, das gezügelte Essverhalten beizubehalten oder gar zu intensivieren.
  • Wie kann ich als Ausbilder/-in eine Essstörung erkennen?

    Eine beginnende Magersucht erkennen Sie primär daran, dass Ihr Azubi offensichtlich immer dünner wird und kaum etwas beziehungsweise gar nichts mehr im Beisein anderer isst. Schreitet die Krankheit weiter voran, wird sich Ihr Azubi wahrscheinlich immer mehr zurückziehen. Es kann auch sein, dass stimmungsmäßig Veränderungen auffallen, z. B. eine depressive Stimmung oder auch Gereiztheit. Meist wird der Betreffende leugnen, dass mit seinem Essverhalten etwas nicht stimmt, wenn Sie ihn darauf ansprechen. Dies ist typisch. Das Leistungsniveau wird lange aufrechterhalten, obwohl Ihr Azubi körperlich immer schwächer wird. Eine Bulimie ist viel schwerer zu erkennen. Vielleicht fallen Ihnen unkontrollierte Essanfälle auf oder Sie bemerken, dass sich Ihr Azubi erbricht. Auch das Erkennen einer Binge-Eating-Störung ist schwierig, denn Übergewicht ist nicht gleichbedeutend damit. Hier hilft es nur, wenn Sie Ihren Azubi bei Verdacht vorsichtig und unter vier Augen ansprechen.

    Bei einer Essstörung ist das Essverhalten nicht auf Wahrnehmungen wie Appetit, Hunger oder Sättigung, sondern auf eine Gewichtsreduktion oder -erhaltung ausgerichtet. Wenn Ihr Azubi ständig Diät hält, Mahlzeiten auslässt, Kalorien zählt, ausschließlich Diätprodukte zu sich nimmt und auf alles, was viele Kalorien hat, verzichtet, sollten Sie aufhorchen. Genauso sollten Sie hellhörig werden, wenn Ihr Azubi ständig und unkontrolliert Nahrung zu sich nimmt. Zu den Folgen einer anhaltenden Mangelernährung zählen Depressivität, Ängstlichkeit, Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen. Dabei erfolgt eine gedankliche Einengung auf das Thema „Essen“. Seltsam anmutende Essrituale wie extrem langsames Essen, Horten von Nahrungsmitteln oder gieriges Verschlingen von Nahrung lassen sich beobachten.

    Bitte beachten Sie jedoch, dass alle hier aufgeführten möglichen Kennzeichen ebenso auf andere Ursachen zurückzuführen sein können.

  • Was kann ich tun, wenn ich bei meinem Azubi eine Essstörung vermute?

    Menschen mit Essstörungen benötigen psychologische und medizinische Unterstützung. Bei einer ausgeprägten Magersucht geht es darum, eine akute Lebensgefahr durch extremes Untergewicht, Herzprobleme oder einer Störung des Salzhaushaltes abzuwenden. Manchmal kommt es auch zu Selbstmordgedanken bei den Betreffenden. Ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Azubi von Vertrauen geprägt, sprechen Sie ihn/sie an und sagen Sie ihm/ihr, dass Sie sich Sorgen um seine oder ihre Gesundheit machen. Unterstützen Sie Ihren Azubi dabei, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und bleiben Sie in Kontakt miteinander. Wichtig ist gerade für Jugendliche, dass sie die Kontrolle über ihr Handeln gewinnen und behalten. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind im Einzelnen:

    • Signalisieren Sie, dass Sie sich Sorgen um die Gesundheit Ihres Azubis machen! Die Gefühlslage essgestörter Jugendlicher bewegt sich zwischen Stolz, Aggression und Scham. Magersüchtige Jugendliche sind stolz auf ihre disziplinierte Ernährung und körperliche Ertüchtigung. Sie können daher aggressiv auf Versuche anderer reagieren, sie von ihrem Weg abzubringen. Bulimische und fettleibige Jugendliche schämen sich vielfach für ihr Essverhalten. Da sie sich die Störung aber nicht freiwillig ausgesucht haben, reagieren sie meist empört auf jede Einflussnahme. Darum ist es wichtig, dass ihr Verhalten taktvoll und unverkrampft angesprochen wird. Zeigen Sie Wege zur professionellen Hilfe auf, überlassen Sie aber Ihrem Azubi die Entscheidung über Hilfen und Lösungen. Ganz wichtig: Üben Sie keinen Druck aus, wenn Ihr Azubi nicht mit Ihnen sprechen will! Essverhalten ist ein emotionales Thema, und Jugendlichen fällt es häufig schwer, ihre Emotionen auszudrücken. Bleiben Sie aber am Thema und lassen Sie sich nicht dadurch beruhigen, dass der/die Betreffende sagt, es sei alles in Ordnung.
    • Machen Sie Ihrem Azubi Mut, professionelle Hilfe aufzusuchen! Geben Sie Ihrem Azubi klar zu verstehen, dass Sie als Ausbilder oder Ausbilderin für das Problem nicht professionell geschult sind. Sie tragen aber ein Stück weit dafür Verantwortung, dass die Gesundheit Ihres Azubis keinen Schiffbruch erleidet. Darum ist professionelle Hilfe dringend angeraten. Je früher mit der Therapie begonnen wird, desto größer sind die Chancen einer Heilung. Darüber hinaus bietet professionelle Hilfe einen geschützten Rahmen für eine schrittweise Weiterentwicklung. „Mach einen kleinen ersten Schritt, probiere ihn aus und schau dann weiter! Entscheide nicht so viel auf einmal!"
    • Helfen Sie Ihrem Azubi dabei, die Kontrolle zu gewinnen beziehungsweise zu behalten! Kontrolle ist ein Grundbedürfnis eines jeden Jugendlichen. Krisen entstehen häufig dann, wenn über den Kopf des Jugendlichen hinweg entschieden wird. Übergeben Sie darum die Kontrolle für das weitere Vorgehen an den Jugendlichen: „Bist Du mit diesem Vorgehen einverstanden? Denke darüber nach, entscheide selbst was für Dich gut ist, nimm aber meinen Rat ernst!“
    • Tragen Sie im Betrieb zu einem gesunden Essverhalten bei! Erst einmal sollten Sie im Betrieb einen gesunden Umgang mit Stress vorleben. Das bedeutet auch, dass der Arbeitsstress nicht mit in die Frühstücks- und Mittagspause genommen wird. Pausen sollten der Entspannung und Aufnahme gesunder Nahrung dienen. Eine räumliche und atmosphärische Trennung ist darum geboten. Haben Sie Geduld! Erwarten Sie keine schnellen Resultate bei Störungen des Essverhaltens. Es wird Rückschläge auf dem Weg zur Heilung geben. Rückschläge und Verzögerungen bedeuten nicht, dass Ihr Azubi nicht vorwärtskommt. Mit jedem offenen Gesprächsangebot wird sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das nachfolgende Mitarbeitergespräch konstruktiver und produktiver sein wird.
  • Hier finde ich Hilfe: Beratungs- und Unterstützungsangebote

    Beim akuten Verdacht auf eine Essstörung, gleichwohl welcher Natur, sollten Sie nach Rücksprache mit Ihrem Azubi unbedingt eine professionelle Unterstützung organisieren.

    Hier gibt es Informationen für Betroffene, Eltern und Angehörige, aber auch ein umfangrei-ches Angebot für Lehrkräfte: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung http://www.bzga-essstoerungen.de

    Anhand der folgenden Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erfahren Sie mehr über Essstörungen und erhalten einen Leitfaden für den Umgang damit:

    Auf der Internetseite der Stiftung „Achtung Kinderseele“ erhalten Sie umfangreiche Informationen zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie eine Übersicht von kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in Deutschland. http://www.achtung-kinderseele.de

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