Wenn Ihr Azubi häufig ohne ersichtlichen Grund aufbrausend oder sogar aggressiv wird, kann das verschiedene Ursachen haben. Klar ist: In der Pubertät reagieren junge Menschen ohnehin schneller und negativer auf Reize und Stresssituationen.
Manche Jugendliche gehen heute unkontrollierter mit ihrer Wut und Aggressivität um – durch das Ausüben von Gewalt meinen sie, sich selbst zu beweisen. Normalerweise sollten schon Kinder eine Aggressionshemmung entwickeln, die sie daran hindert, in schwierigen Situationen Grenzen zu überschreiten. Gewalt ist zwar in Notfällen eine lebensrettende Strategie - darf aber nur als letztes Mittel zur (Selbst-)Verteidigung eingesetzt werden.
Der Einsatz von Gewalt wird gelernt: Lebenserfahrungen in der Familie und der Clique beeinflussen, wie Jugendliche Konflikte erleben und zu lösen versuchen. Dabei müssen sie lernen, ihre Affekte und Impulse zu steuern. Wer Wut und Aggression nicht beherrschen kann, wird später im Leben scheitern. Sportliche Spiele und Wettbewerbe machen es bereits einem Kind möglich, seine aggressiven Impulse zu erleben und zu nutzen. Die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen ist dagegen dauerhaft erhöht, wenn sie selbst regelmäßig Gewalt erlebt haben.
Im Betrieb hat aggressives Verhalten seinen Ursprung häufig in einem Machtkampf. Wenn die Ausbildungsleitung einen Wunsch äußert oder eine Forderung stellt, ist sie zunächst in der schwächeren Position: Der Azubi braucht ja nur die Erfüllung zu verweigern! Oft sind solche Reaktionen die einzige Möglichkeit für einen Jugendlichen, Macht oder Kontrolle zu erfahren – kein Wunder, dass Ihr Azubi die Situation gar nicht ändern möchte. Häufig entwickelt sich hieraus ein Teufelskreis: Der Druck auf den Azubi wird verstärkt, aggressive Reaktionen auf beiden Seiten verschärfen sich. Der Konflikt eskaliert und lässt zwei Verlierer/-innen zurück.
Wichtig ist zunächst einmal: Lassen Sie sich nicht provozieren! Steigen Sie auf keinen Fall auf das aggressive Verhalten ein und diskutieren Sie auch nicht. Welche Möglichkeiten haben Sie, aus einem Machtkampf auszusteigen?
Erkennen Sie die Anzeichen für einen beginnenden Machtkampf, um ihn möglicherweise noch zu stoppen: Bevor Sie das „Feuer“ eröffnen, denken Sie an die Eigenschaften, die Sie an Ihrem Azubi mögen beziehungsweise erinnern Sie sich an die guten Zeiten miteinander. Stimmen Sie sich dadurch versöhnlicher.
Menschliches Konfliktverhalten ist meist gut vorhersehbar. Das ist einerseits frustrierend für beide Seiten ("schon wieder"), andererseits macht es den Konfliktverlauf berechenbar. Der Konflikt verläuft in vertrauten Bahnen.
Wen Sie einen Konflikt vorhersagen können, können Sie ihn auch verändern. Gehen Sie einen unerwarteten Schritt auf die andere Seite zu. Bieten Sie alternative Lösungen an, indem Sie z.B. bedauern, dass es zum Streit gekommen ist und Sie einen neuen Anlauf zur Lösung nehmen wollen.
Jetzt kennen Sie das Drehbuch, wie ein Konflikt mit Ihrem Azubi typischerweise abläuft und an welchen Punkten das Gespräch eskalieren kann. Jetzt können Sie planen: Was werden Sie diesmal anders machen?
Schreiben Sie Ihr Drehbuch neu, um einen Machtkampf zu vermeiden! Welche strategischen Redewendungen (beispielsweise "Wie denkst Du darüber?", "Ich weiß nicht, ob ich Dich richtig verstanden habe. Kannst Du mir etwas mehr darüber sagen?") helfen Ihnen, einer Eskalation des Gesprächs vorzubeugen.
Jetzt führen Sie das erste Konfliktgespräch mit dem neuen Drehbuch. Welche Erfahrungen machen Sie dabei? Kochen die Emotionen langsamer oder weniger hoch? Fühlen sich beide Konfliktparteien angehört und respektiert oder fühlt sich eine Seite manipuliert und überfordert? Haben Sie sich selbst und den Gesprächsverlauf unter Kontrolle, auch wenn Sie keine Kontrolle über Ihren Azubi selbst haben?
Versuchen Sie, sowohl organisatorische als auch persönliche Aspekte zu berücksichtigen, aber vermischen sie diese nicht. Wenn Ihr Azubi das Gesicht verliert, schwindet auch das Selbstwertgefühl: Er oder sie wird rebellieren, um nicht unterzugehen. Gelingt es nicht, noch während des Konfliktgesprächs die Balance wiederherzustellen, wird Ihr Azubi dies nach dem Gespräch schnell tun wollen und sich möglicherweise rächen.
Lassen Sie nicht zu, dass Ihr Azubi das Gesicht verliert! Sorgen Sie für eine gute Balance. Geben Sie dem Gespräch einen guten Abschluss, auch wenn Sie eine negative Sanktion aussprechen müssen (z.B. „Hast Du eine Idee, wie wir auch ohne Strafen miteinander klar kommen?“).
Haben Sie Geduld! Veränderungen in persönlichen Beziehungen sind nicht einfach herbeizuführen. Möglicherweise benötigen Sie mehrere Anläufe, bis ein eingespielter Konflikt einen wirklich neuen Verlauf nimmt. Möglicherweise bemerken Sie bei strategischen Redewendungen, dass die andere Seite überrascht ist, aber noch nicht weiß, wie sie mit Ihren Angeboten umgehen soll.
Ihr Azubi ist an den Machtkampf gewöhnt und wird erst einmal neue Argumente oder Fallen erdenken, die Sie im Konflikt halten. Mit jedem offenen Gesprächsangebot wird sich jedoch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das nachfolgende Konfliktgespräch konstruktiver und produktiver sein wird.
Läuft aggressives Verhalten im Betrieb auf die Einschüchterung oder Unterdrückung einer Person oder Konfliktpartei hinaus, gilt für Sie:
Seien Sie ein Vorbild und zeigen Sie, wie Sie mit Stress und Kritik umgehen. Zeigen Sie, auf welche Weise es in Ihrem Betrieb in Ordnung ist, die Wut mal kurz herauszulassen (Auf dem Hof schreien? Auf den Boden stampfen? Gegen einen Reifen treten?).
Stellen Sie klare Verhaltensregeln für den Umgang miteinander auf und achten Sie auf deren Einhaltung. Auch Kleiderregeln können Aggressionen verhindern: Mit Hemd und Krawatte benimmt man sich automatisch souveräner als mit T-Shirt und Baggy Pants
Über- oder unterfordern Sie den Azubi nicht, achten Sie auf leistungs- und lehrjahrgerechte Unterweisungen und Arbeitsaufträge.
In der Berufsschule finden Sie pädagogisches Personal, bei dem Sie sich Rat holen können. Ein Gespräch ist zudem empfehlenswert, um herauszufinden, ob Ihr Schützling in einer anderen Umgebung ebenfalls aggressiv reagiert.
Die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, Herrnstraße 53, 90763 Fürth, Telefon 0911 977140, www.bke.de, hilft bei der Suche nach einer Beratungsstelle in Ihrer Region.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V., www.dgkjp.de, bietet eine Übersicht an Kliniken und Ambulanzen, die auf Verhaltensstörungen unterschiedlicher Art spezialisiert sind.
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