Gerade junge Menschen, die so alt sind wie Ihre Azubis, interessieren sich immer mehr dafür, was im Land und in der Welt passiert. Sie sehen oder hören Nachrichten und brauchen Orientierung, um sie einordnen zu können. Und weil einige deutsche Bundesländer vor allem für Kommunalwahlen das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren eingeführt haben, dürfen sie häufig sogar schon wählen. An den Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) in größeren Betrieben können sie ebenfalls schon ab 16 teilnehmen. Deshalb wollen oder sollten sie wissen, wie Demokratie funktioniert, wie sie sich eine politische Meinung bilden können und dass sie demokratische Grundsätze und gesetzlich verankerte Menschenrechte auch im Umgang miteinander zu achten haben.
Das Wort "Demokratie" stammt aus dem Griechischen und wird wörtlich mit "Herrschaft des Volkes" übersetzt. Unser Grundgesetz bezeichnet die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland als "freiheitliche demokratische Grundordnung". Sie basiert auf Prinzipien, die das Bundesverfassungsgericht bereits 1952 definiert hat: "So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip, Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition."
Die typischen Merkmale einer modernen Demokratie sind also freie Wahlen mit dem Mehrheitsprinzip, die Akzeptanz einer politischen Opposition, die Gewaltenteilung, der Schutz der Grund- und Bürgerrechte und die Achtung der Menschenrechte, wie sie von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen garantiert werden. Dazu gehört auch die Presse- und Meinungsfreiheit, damit die politische Willensbildung nicht be- oder verhindert wird.
Wie Demokratie bei uns funktioniert, können Sie am besten an Beispielen erklären:
usw.
Am Beispiel einer Betriebsratswahl können Sie erklären, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer sozialpartnerschaftlich zusammenarbeiten, um Interessengegensätze durch Konsenspolitik zu lösen. Sie können erläutern, dass die Arbeitnehmer sich in Gewerkschaften organisieren können, die mit den Arbeitgeberverbänden zum Beispiel Tarifverträge aushandeln. Bei den Wahlen zum Betriebsrat gehören auch Azubis zu den wahlberechtigten Arbeitnehmern, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben. Sind sie jünger, steht ihnen das Wahlrecht zur Jugend- und Auszubildendenvertretung zu.
Wie bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen gibt es auch bei einer Betriebsratswahl Kandidatinnen und Kandidaten, für die man sich entscheiden kann. Hier werden sie meist von der Belegschaft vorgeschlagen und aufgestellt und nicht von einer Partei. Aber auch sie machen Wahlkampf und werben bei ihren potenziellen Wählerinnen und Wählern um ihre Programme. Zur Wahl stellen können sich selbstverständlich sowohl Männer als auch Frauen. Und der gewählte Betriebsrat ist verpflichtet, die Interessen aller Beschäftigten zu vertreten - so wie eine gewählte Regierung verpflichtet ist, die Interessen aller Bürger/-innen zu vertreten.
Zu den garantierten Menschenrechten gehören neben der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder dem Recht auf Arbeit und angemessener Entlohnung auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit und der Schutz vor Folter. Die meisten Flüchtlinge sind wegen der Verletzung dieser Menschenrechte in ihrer Heimat zu uns geflohen. Sie dürfte auch besonders interessieren, dass nicht wir im freien Westen die Menschenrechte erfunden haben, sondern dass das antike Persien als Ursprungsland dieser universellen Rechte gilt.
Gelegenheiten, auf die Menschenrechte einzugehen, gibt es genug. Wenn zum Beispiel der eine Azubi den anderen partout nicht ausreden lassen und nur seine Meinung gelten lassen will, zitieren Sie ruhig mal die britische Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall: "I do not agree with what you have to say, but I'll defend to the death your right to say it." ("Ich bin nicht einverstanden mit dem, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.") Wenn ein Kollege über die Herkunft und die Hautfarbe eines Ihrer Azubis herzieht, machen Sie ihm im Beisein des betroffenen jungen Mannes oder der betroffenen jungen Frau klar, dass bei uns niemand diskriminiert werden darf. Verweisen Sie dabei auf unser Grundgesetz. Demnach darf niemand "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden".
Manchmal pocht ein Azubi bei Beschimpfungen oder Beleidigungen auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung- Weisen Sie ihn dann darauf hin, dass die Beleidigung einer bestimmten Person ein Straftatbestand sein kann und dann nicht mehr vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Denn eine Beschimpfung oder Beleidigung verstößt gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, das dem Schutz der Menschenwürde dient. Außerdem heißt es in Artikel 5, Absatz 2, des Grundgesetzes: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Anders gesagt: Grundsätzlich steht es jedem frei, seine Meinung zu formulieren - nur eben ohne Ausfälle gegen die Ehre oder die Würde eines anderen Menschen.
Ausländische Jugendliche fragen manchmal, warum sie in Deutschland nicht wählen dürfen. Auch auf diese Frage sollten Sie als Ausbilder/-in antworten können. Das deutsche Grundgesetz erlaubt nicht, dass ausländische Mitbürger/-innen das passive oder aktive Wahlrecht bei Bundestags- oder Landtagswahlen haben. Nur bei kommunalen Wahlen dürfen Ausländer/-innen mitbestimmen - dann nämlich, wenn sie hier lebende Staatsbürger/-innen eines Mitgliedlandes der Europäischen Union sind.
Das heißt jedoch nicht, dass sich Ausländer/-innen aus Drittstaaten nicht an der politischen Willensbildung in den Gemeinden und Städten beteiligen dürften. Als sachkundige Einwohner/-innen können sie in kommunale Gremien berufen werden, um dort Gruppeninteressen zu vertreten. Auch in Vereinen, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Schulen können sie mitwirken. Und wer lange hier lebt, hat die Möglichkeit, sich unter erleichterten Bedingungen nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht einbürgern zu lassen und damit auch das Wahlrecht zu erwerben.