Selbstständiges Handeln und Eigenverantwortung sind längst Schlüsselqualifikationen geworden. Sie gehören zu den Anforderungen, die Betriebe heute an ihre Bewerber/-innen stellen. Die betriebliche Realität zeigt jedoch, dass einige Jugendliche mit den Anforderungen an ihre Selbstständigkeit überfordert sind. Wenn Sie Ihre Auszubildenden zu mehr Selbstständigkeit führen möchten, ist es wichtig, zunächst die Ursachen für ihr Verhalten zu erkennen.
Die Ursachen sind so vielfältig wie die Jugendlichen selbst. Es gibt deshalb keine allgemeingültige Aussage, die auf alle Azubis zutrifft. Sie als Ausbilder/-in sind gefragt, für Ihre Azubis eine individuelle Diagnose zu stellen, damit Sie angemessen reagieren können. Für fehlende Selbstständigkeit kann es zum Beispiel folgende Gründe geben:
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Sie die Selbstständigkeit ihrer Auszubildenden fördern können. Die Methoden funktionieren sowohl bei leistungsschwächeren als auch bei leistungsstarken Azubis, weil sie dem individuellen Entwicklungsstand der Auszubildenden angepasst werden können.
Ausbildungsplan anpassen
Wenn Ihr Azubi nicht selbstständig arbeitet, überprüfen Sie kritisch Ihren Ausbildungsplan: Zielt der Plan darauf ab, allmählich mehr Verantwortung zu übertragen? Grundsätzlich können Sie hier nach Ausbildungsjahren unterteilen. Viele Betriebe greifen auf ein dreistufiges Modell zurück (Unterweisung, Eigenverantwortung, selbstständiges Arbeiten). Im ersten Ausbildungsjahr sollten Auszubildende stärker unterwiesen und begleitet werden, im zweiten Ausbildungsjahr sollten sie mehr Eigenverantwortung übernehmen und das dritte Ausbildungsjahr sollte auf die Verrichtung selbstständiger Arbeiten abzielen. Dieses dreistufige Modell muss natürlich an die individuellen Voraussetzungen der Auszubildenden angepasst werden. Das bedeutet etwa, dass leistungsstarken Auszubildenden schon früher mehr Verantwortung übertragen werden sollte.
Leittextmethode
Die Leittextmethode ist ein weit verbreitetes und gut erprobtes Instrument. Sie bietet gegenüber anderen Konzepten den Vorteil eines ganzheitlichen Ansatzes. Der Azubi soll eine Aufgabe nicht nur eigenständig durchführen, sondern auch selbst planen und kontrollieren. Geben Sie Ihrem/Ihrer Auszubildenden einen schriftlichen Arbeitsauftrag, der sich an einer alltäglichen Situation orientiert, die in Ihrem Betrieb so passieren könnte. Mithilfe von Begleitmaterial - dem sogenannten Leittext - kann der/die Auszubildende die Aufgabe eigenständig erledigen.
Weitere Informationen zur Leittextmethode sowie Beispiele für Situationen und Leittexte finden Sie hier: (https://www.ueberaus.de/wws/9.php#/wws/index.php?sid=43906919131469047048041394139330)
Eigene Projekte
Projekte sind immer ein guter Weg, um die Selbstständigkeit von Auszubildenden zu fördern. Ein Vorteil dieser Methode besteht darin, dass Sie das Ausmaß an Selbstständigkeit genau an den Entwicklungsstand Ihrer Auszubildenden anpassen können. Übertragen Sie den Auszubildenden Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe. Geben Sie ihnen zum Beispiel die Verantwortung für die Bestellung von Büromaterial oder andere regelmäßige Bestellungen. Bei fortgeschrittener Selbstständigkeit ist auch denkbar, ihnen einen eigenen Kunden zuzuteilen. Wichtig ist, die übertragene Verantwortung immer dem Reifegrad der Auszubildenden anzupassen. So ermöglichen sie Erfolgserlebnisse, die zu mehr Eigenverantwortung motivieren.
Eine weitere Möglichkeit ist, die Auszubildenden eigene Bereiche der Firma gestalten zu lassen. Je nach Branche können das etwa eine Übungsfirma ein im Betrieb selbst angelegter Azubigarten oder selbst gestaltete Räume sein – eine hervorragende Motivation für Auszubildende und darüber hinaus auch ein Aushängeschild für Ihren Betrieb. Wenn Sie einen Schritt weiter gehen möchten, können Sie auch externe Azubibaustellen organisieren - vorausgesetzt, Sie bieten diese den Kundinnen und Kunden auch in dieser Form an.
Weitere Informationen und wichtige Eckpunkte zur Planung, Umsetzung und Ausgestaltung von Projekten finden Sie hier: (https://www.ueberaus.de/wws/9.php#/wws/index.php?sid=80242839492234383248041394139860)
Weitere Informationen zu Lehr- und Lernmethoden finden Sie hier: (https://www.ueberaus.de/wws/9.php#/wws/index.php?sid=47382001425370594148041404140060)
Anreize schaffen
Häufig müssen Auszubildende erst herausfinden, welche Vorteile ihnen die Veränderung ihrer Einstellung oder ihres Verhalten bringt. Durch gezielte Anreize können Sie Ihre Azubis dabei unterstützen. Sie können zum Beispiel zusätzliche Freizeit für pünktliches und korrektes Erscheinen anbieten. Wenn Sie nur zehn Minuten für jeden pünktlichen Arbeitsbeginn gewähren, können sich Auszubildende bis zu fünf freie Tage im Jahr "dazuverdienen". Insbesondere in der Gastronomie, wo Pünktlichkeit einen besonders hohen Stellenwert hat, bietet sich dieses System an. Die Auszubildenden spüren die positiven oder negativen Auswirkungen ihres Verhaltens automatisch und lernen daraus. Gleichzeitig werden Sie als Ausbilder/-in entlastet, weil Sie Unpünktlichkeit nicht mehr bestrafen müssen. Auch Qualifizierungsmaßnahmen bieten sich als Anreiz an. Die Ausbildungs- und Weiterbildungsberatung Ihrer Kammer kann Ihnen helfen, geeignete Maßnahmen zu finden.
Die Umsetzbarkeit und die Grenzen von Anreizsystemen muss jeder Betrieb individuell ausloten. Finanzielle Anreize empfehlen sich jedoch nicht, da diese zu Missgunst unter den Auszubildenden führen können.
Auch Ihr Verhalten als Ausbilder/-in kann die Selbstständigkeit Ihrer Azubis hemmen. Das Gleiche gilt für bestimmte Rahmenbedingungen im Betrieb oder das soziale Umfeld der Jugendlichen. Die folgende Aspekte sollten Sie deshalb kritisch hinterfragen.
Sind meine Auszubildenden ausreichend über ihre Arbeitsaufträge informiert?
Lasse ich als Ausbilder/-in Fehler zu? Wie gehe ich selbst mit Fehlern meiner Auszubildenden um? Ergeben sich daraus Chancen für die Auszubildenden, sich zu verbessern?
Gebe ich ausreichend Anerkennung für gute Leistung und wie kommuniziere ich schlechte Leistung? Tipps dazu finden Sie im Wissensbaustein "Feedbackgespräche".
Gebe ich die Lösungen für Problemstellungen vor oder gebe ich den Auszubildenden Raum und Zeit, um diese Lösungen selbstständig zu erarbeiten?
Kenne ich die Interessen meiner Auszubildenden? Verteile ich Aufgaben entsprechend den Interessen und der Leistung meiner Auszubildenden?
Vertrauen mir meine Auszubildenden bzw. vertraue ich ihnen?
Das Vertrauensverhältnis zwischen Ausbilder/-in und Auszubildenden bildet die Grundlage selbstständigen Handelns. Nur wenn Sie Ihren Auszubildenden deutlich Ihr Vertrauen aussprechen und unter Beweis stellen, werden sie auch selbstständig handeln. Sollten Sie sich noch nicht sicher sein, wie Sie als Ausbilder/-in ein menschliches und professionelles Vertrauensverhältnis aufbauen können, empfehlen wir Ihnen den Wissensbaustein zum Thema Führungsstile.
Wichtig ist, dass Sie alle Auszubildenden in ihrer Selbstständigkeit fördern. Das bedeutet, auch weitere Anreize für Azubis zu schaffen, die bereits durch selbstständiges Arbeiten positiv herausstechen. Andernfalls können diese Jugendlichen sich unterfordert fühlen. Daher sind Sie gefragt, das Arbeitsumfeld möglichst fordernd zu gestalten, um den Betrieb langfristig für Ihre Auszubildenden interessant zu machen. So erhöhen Sie auch die Chance, diese Auszubildenden später an den Betrieb binden zu können.
Übertragen Sie Ihren leistungsstärkeren Auszubildenden nach und nach mehr Verantwortung. So zeigen Sie ihnen, dass Sie auf ihre Fähigkeiten vertrauen. Geben Sie ihnen unter Umständen im zweiten Ausbildungsjahr eine Teilverantwortung für die neuen Auszubildenden. Sie können leistungsstarke Auszubildende auch eine "Patenschaft" für neue, evtl. leistungsschwächere Auszubildende im Unternehmen übernehmen lassen. Hiervon profitieren alle Seiten.
Durch gezielte Fördermaßnahmen lassen sich weitere Anreize schaffen. Versuchen Sie dabei, die Potenziale des Auszubildenden aufzugreifen. Wenn Sie etwa merken, dass sich eine Auszubildende besonders gut im Vertrieb oder im Kundenmanagement einbringt, bieten Sie ihr Qualifizierungsmaßnahmen in diesem Bereich an. Auf diese Weise motivieren Sie die Auszubildende, Sie erhöhen ihren Wert als Fachkraft für den Betrieb und fördern gleichzeitig ihre Bindung an den Betrieb. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Wissensbaustein "Potenziale erkennen".
Bei besonders leistungsstarken Auszubildenden können die Inhalte der Qualifizierungsmaßnahmen auch über die in der Ausbildung vorgesehene inhaltliche Tiefe hinausgehen. Langfristig ist diese Investition sowohl für den Betrieb als auch für die Auszubildenden von Vorteil. Die Ausbildungs- und Weiterbildungsberatung hilft Ihnen, geeignete Maßnahmen zu finden.
Nutzen Sie die Ausbildungs- und Weiterbildungsberatung der Kammern.
Der Senior Experten Service (SES) bietet im Rahmen des Projekts "VerA" Auszubildenden auf Wunsch individuelle Unterstützung durch eine Expertin oder einen Experten an. Aber auch Ausbilder/-innen und Betriebe können von der Erfahrung der Expertinnen und Experten profitieren. http://vera.ses-bonn.de
Ausbildungsbegleitende Hilfen (abH) sind ein bundesweites Angebot der Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie bieten sich vor allem bei Problemen mit selbstständigem Lernen an. Die Auszubildenden erhalten hier mindestens drei Stunden in der Woche kostenlosen Nachhilfeunterricht.
www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/dienststellen/rdnsb/hildesheim/Agentur/BuergerinnenundBuerger/Ausbildung/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI641082