Gerade unter jungen Männern und Frauen kommt es immer wieder zu geschlechtsbezogenen Konflikten - auch im Rahmen ihrer Ausbildung. In diesem Wissensbaustein geht es deshalb vor allem um die Ursachen solcher Auseinandersetzungen - und darum, wie Sie als Ausbilder/-in darauf eingehen oder die Konflikte sogar vermeiden können.
"Gender Mainstreaming" ist die Strategie zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Sie wurde im Amsterdamer Vertrag der Europäischen Union zur verbindlichen Richtlinie für alle EU-Mitgliedstaaten erklärt. Der Vertrag trat 1999 in Kraft. Umgesetzt wird Gender Mainstreaming vor allem im öffentlichen Leben.
In der Privatwirtschaft wird eher der Begriff "Gender Diversity" verwendet. Bei dem Konzept geht es darum, Chancengleichheit für Männer wie für Frauen herzustellen. Deshalb gehört das Gender Diversity Management heute bereits in vielen Unternehmen zum Personalwesen - und ist damit auch für Sie als Ausbilder/-in relevant.
Der englische Begriff "Gender" kommt aus den Sozialwissenschaften und bezeichnet die durch Kultur und Gesellschaft geprägten Geschlechtseigenschaften einer Person. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (englisch: sex), das Mann und Frau allein nach körperlichen Unterschieden definiert, beschreibt Gender das "soziale Geschlecht". Es geht darum, wie Mann und Frau von gesellschaftlichen Zuschreibungen und Erwartungen "geformt" werden - vermittelt durch Erziehung, Rollenvorstellungen, Medien und Normen.
Unter Geschlechterrollen versteht man Verhaltensweisen und Eigenschaften, die weiblichen und männlichen Personen zugeschrieben werden. Als feminine Eigenschaften gelten etwa Fürsorglichkeit, Emotionalität oder Warmherzigkeit, als maskuline Eigenschaften verstehen viele Durchsetzungsfähigkeit, Führungsstärke oder Dominanz. Diese Rollenvorstellungen vom starken und vom schwachen Geschlecht haben sich bei uns inzwischen etwas gewandelt, was mit der gewachsenen wirtschaftlichen Gleichstellung der Frau, der sexuellen Emanzipation und der Verringerung von Doppelmoral zu tun hat. Aber in vielen anderen Kulturen sind Frauen längst noch nicht gleichberechtigt. Dadurch können Schwierigkeiten und Probleme auftreten - gerade wenn Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenkommen.
Als Ausbilderin oder Ausbilder haben Sie sicherlich im Blick, wie Ihre Azubis miteinander umgehen - ob sie trotz ihrer verschiedenen Nationalitäten Respekt voreinander haben oder sich dem anderen Geschlecht gegenüber fair und anständig verhalten. Wenn Sie hier Auffälligkeiten feststellen - sich zum Beispiel ein junger Mann mit diskriminierenden Äußerungen hervortut -, sollten Sie nicht zögern, darauf einzugehen. Sprechen Sie mit Ihren Azubis darüber, fragen Sie sie, was sie davon halten und ob sie es in Ordnung finden, wenn junge Frauen auf diese Weise herabgewürdigt werden.
Erklären Sie, dass bei uns die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht nur gesellschaftlich anerkannt, sondern sogar gesetzlich geregelt ist. Dass das Grundgesetz als Verfassung verbindlich für jeden ist, der hier leben will. Weisen Sie auf Artikel 3 hin, wo es in Absatz 2 wörtlich heißt: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Erläutern Sie, was Gleichberechtigung innerhalb und außerhalb Ihres Betriebs bedeutet. Lassen Sie Ihre Azubis darüber diskutieren, welche Vorteile Gleichberechtigung für alle hat. Und wenn Sie zeigen wollen, wie auch Ihre ausländischen Azubis von unserem Grundgesetz geschützt werden, zitieren Sie Absatz 3: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) versteht man unter sexueller Belästigung "ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten", mit dem "die Würde der betreffenden Person verletzt wird". Sexuell belästigt werden kann durch anzügliche Witze oder Bemerkungen, durch aufdringliche oder einschüchternde Blicke oder Annäherungen sowie durch unangemessene Berührungen bis hin zur körperlichen Gewalt. In den allermeisten Fällen sind Frauen Opfer sexueller Belästigungen, seltener auch Männer.
Fragen Sie zunächst nach, um welche Form der sexuellen Belästigung es sich gehandelt haben soll und ob es möglicherweise ein verunglückter Flirtversuch gewesen sein könnte. Nehmen Sie die Beschwerde aber auf jeden Fall ernst. Denn wenn ein Arbeitgeber seine Schutzpflicht gegenüber Auszubildenden verletzt, kann dem Betrieb nach § 33 Berufsausbildungsgesetz (BBiG) sogar die Ausbildungseignung aberkannt werden. Wenn Sie davon überzeugt sind, dass eine sexuelle Belästigung vorgelegen hat – egal, ob verbal, nonverbal oder physisch -, stellen Sie den Beschuldigten zur Rede und hören Sie sich an, was er dazu zu sagen hat. Haben Sie nach seinen Einlassungen keine Zweifel mehr, machen Sie ihm unmissverständlich klar, dass er damit gegen die Regeln Ihrer Firma verstößt und sein Verhalten keinesfalls geduldet wird. Und machen Sie ihm deutlich, dass die Firma juristisch belangt werden kann, wenn sie keine Schutzmaßnahmen ergreift und es erneut zu einer Belästigung kommt.
Berücksichtigen Sie bei der Androhung von Sanktionen wie Versetzung, Abmahnung oder Kündigung die Verhältnismäßigkeit. War die Form der Belästigung eher niedrigschwellig und ist der Beschuldigte einsichtig und zu einer Entschuldigung bereit, können Sie es bei einer ernsthaften Ermahnung belassen. Denken Sie aber daran, dass laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) am Arbeitsplatz - anders als in anderen Lebensbereichen - jede Form der sexuellen Belästigung verboten ist. Wie Sie bei schwereren Verstößen vorgehen, erfahren Sie in einem Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (siehe unten unter "Hier finde ich Hilfe").
Männliche Azubis versuchen manchmal, ihre Kolleginnen sich durch auffälliges Imponiergehabe einzuschüchtern. Schauen Sie in dem Fall zunächst genauer hin, ob es sich dabei eher um pubertäre Spielereien handelt, an denen sich womöglich auch weibliche Azubis mehr oder weniger beteiligen. Das wäre nicht ganz ungewöhnlich - und für Sie noch kein Grund einzuschreiten. Wenn sich allerdings herausstellt, dass sich durch dieses Verhalten tatsächlich weibliche Azubis eingeschüchtert oder gar bedroht fühlen, nehmen Sie die jungen Männer beiseite und sagen Sie ihnen, was Sie von ihrem Gehabe halten. Fragen Sie sie, weshalb sie es nötig haben, gerade damit - und nicht durch zum Beispiel hervorragende Leistungen - imponieren zu wollen. Machen Sie deutlich, dass ein solch ängstigendes Verhalten in Ihrem Betrieb nichts zu suchen hat.
Reden Sie auch mit den weiblichen Azubis, um abwägen zu können, ob sie tatsächlich Angst haben oder ein solches Verhalten nur doof finden. Bestärken Sie sie darin, den Jungs deutlich Einhalt zu gebieten - sie haben schließlich das Recht dazu.
Wenn eine junge Frau durch sexuell aufreizende Kleidung die männlichen Azubis offenbar überfordert, sollten Sie ebenfalls offen ansprechen, was Sie davon halten. Machen Sie deutlich, dass Ihre Firma ein Arbeitsplatz ist und kein Laufsteg. Wenn die junge Frau damit einverstanden ist, thematisieren Sie mit allen Ihren weiblichen Azubis den "Dresscode" im Betrieb. Versuchen Sie, eine Diskussion anzustoßen - wie Kleider Leute machen, wie Menschen sich verwandeln, wenn sie sich umziehen, und wie sie mit verschiedenen Kleidungen auf andere Menschen wirken.
Vielleicht machen dabei Rollenspiele nicht nur Spaß, sondern auch deutlich, was damit gemeint ist. Ihren Auszubildenden dürfte schnell klar werden, wie sie sich am besten anziehen, damit bei jungen Männern - oftmals gerade bei Migranten - keine Missverständnisse entstehen. Vielleicht erarbeiten die Azubis auch selbst Regeln, was im Betrieb geht und was nicht. Am Ende werden sie zur Einsicht kommen, dass sie auch ohne "gewagte" Bekleidung attraktive Frauen sein können - und, noch wichtiger, respektable Persönlichkeiten.
Mit Gender-Kompetenz wird die Fähigkeit und Bereitschaft beschrieben, das eigene Verhalten den Grundsätzen des Gender Mainstreaming anzupassen, damit ein geschlechtersensibler Umgang sowohl mit Frauen und als auch mit Männern gelingt. Gender-Kompetenz ist eine Schlüsselqualifikation für zwischenmenschliche Kommunikation, die es Ihnen ermöglicht, vor allem in Konfliktfällen männliches und weibliches Verhalten und die unterschiedlichen Temperamente zu interpretieren und darauf entsprechend zu reagieren. Wenn Sie etwa wissen, dass Frauen häufig emotionaler argumentieren, während Männer dazu neigen abzuwiegeln und im Konflikt eher pragmatische Lösungen suchen, haben Sie als Streitschlichter die nötige geschlechtersensible Neutralität. Sie hilft ihnen, objektiver zu entscheiden und damit Benachteiligungen zu vermeiden. Gender-Kompetenz kann in Weiterbildungsmaßnahmen erlernt und trainiert werden.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) bietet umfangreiche Beratungsangebote für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Auf ihrer Website kann auch der Leitfaden "Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?" für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte bestellt oder heruntergeladen werden: www.antidiskriminierungsstelle.de
Die Unternehmensinitiative "Charta der Vielfalt" erläutert das Konzept "Gender Diversity": www.charta-der-vielfalt.de