Das traditionelle Familienmodell der Kleinfamilie mit ein oder zwei Kindern wurde längst von einer bunten Vielfalt abgelöst. So leben heute zunehmend mehr Kinder und Jugendliche bei einem alleinerziehenden Elternteil, in sogenannten Patchworkfamilien oder Regenbogenfamilien. Viele Kinder und Jugendliche haben aufgrund der Trennung ihrer Eltern zwei Wohnstätten und leben zeitweise bei der Mutter, zeitweise beim Vater. Je nachdem, welches Modell im Trennungsverfahren vonseiten der Erwachsenen vereinbart wurde.
Diese Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich des Familienmodells, der Arbeitsstelle, der Freizeitgestaltung und der eigenen Fort- und Weiterbildung kann als ein Gewinn der heutigen Gesellschaft gesehen werden. Zugleich verliert sich allerdings eine zunehmende Anzahl von Menschen gerade in diesen Möglichkeiten, sich frei zu entscheiden. Auch vom Wirtschaftswachstum unserer Gesellschaft und den technischen Fortschritten wie der Digitalisierung profitieren bei Weitem nicht alle Familien und deren Kinder. Statistische Erhebungen belegen, dass jeder fünfte Jugendliche in Deutschland in Armut und somit mit vergleichsweise geringeren Bildungs- und Zukunftschancen aufwächst, oftmals vernachlässigt und perspektivlos. Deren Eltern gelingt es nicht, ihre Kinder und Jugendlichen angemessen in schulischen Belangen zu unterstützen und zu fördern. Immer mehr Familien sind auf Hilfe und unterstützende Anleitung von außen angewiesen.
Eine weitere Gruppe stellen Familien dar, die aus ihrem Heimatland geflüchtet sind. Familien aus anderen Kulturkreisen fällt es oftmals sehr schwer, sich an die in Deutschland geltenden Vorgaben und Strukturen zu gewöhnen, das Bildungssystem in seiner Differenziertheit zu erfassen und ihre Kinder und Jugendlichen bei der geeigneten Schul- und Ausbildungswahl adäquat zu unterstützen.
Aufgabe von Pädagoginnen und Pädagogen, Ausbilderinnen und Ausbildern ist es daher, sich den Bildungsbelangen von Jugendlichen in besonderer Weise anzunehmen. Ausgehend von den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen müssen die professionellen Erzieher/-innen - ergänzend oder sogar kompensierend zum Elternhaus - Erziehungs- und Bildungsaufgaben übernehmen. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene benötigen Unterstützung dabei, eigene Entscheidungen für ihren zukünftigen Lebensweg zu treffen. Sie brauchen ein gefestigtes Gegenüber, das sie in ihrer Berufswahl unterstützt und ihnen individuelle Möglichkeiten und Wege aufzeigt, in ein eigenständiges Arbeitsleben zu finden. Dabei müssen die jungen Menschen dabei unterstützt werden, getroffene Entscheidungen nicht willkürlich und abhängig von Stimmungen und aktuellen Misserfolgserfahrungen infrage zu stellen und nicht vorschnell aufzugeben. Pädagoginnen und Pädagogen sollten Vorbild in ihrem eigenen Denken und Handeln sein, das Wagnis eingehen, sich den Jugendlichen gegenüber zu öffnen, und ihnen auch im Falle von Rückschlägen und auftretenden Schwierigkeiten immer wieder eine neue Chance geben.
Die Familie ist ein soziales Gefüge und in hohem Maße von äußeren Einflussfaktoren bestimmt. Gerade die individuellen Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen stehen in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status der Familie. Dieser hängt wiederum davon ab, inwiefern die Eltern einer Erwerbstätigkeit nachgehen, die den Familienunterhalt sichert. Eine Arbeitslosigkeit der Eltern beeinflusst die Bildungschancen der Kinder oft erheblich. Ist der Lebensunterhalt nicht gesichert oder sehr knapp bemessen, können weniger Mittel in die Aus- und Weiterbildung sowie die Förderung und adäquate Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen investiert werden.
Familien, die aus ihrem Heimatland geflüchtet sind und bislang keinen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten haben, befinden sich in einer existenziellen Unsicherheit, von der auch die Kinder stark betroffen sind. Die Frage, ob ein Verbleib in Deutschland möglich sein wird, der sehr geringe sozioökonomische Status und die Ungewissheit, wie lange die Kinder und Jugendlichen einer begonnenen (schulischen) Ausbildung werden nachgehen können, stellt für alle Mitglieder der Familie eine sehr hohe emotionale und psychische Belastung dar.
Auch wenn ein Elternteil psychisch erkrankt oder unter einer Suchterkrankung leidet, fehlen den Kindern und Jugendlichen der Halt und die Unterstützung, die für die schulische Ausbildung von entscheidender Bedeutung sind. Betroffene Eltern können ihrer Erziehungsaufgabe nicht adäquat nachkommen und nur eingeschränkt Hilfe und Unterstützung in der Lebensplanung und -gestaltung ihrer Kinder bieten.
Weitere Einflussfaktoren auf das System Familie sind die fortschreitende Digitalisierung, die ausufernde und unreflektierte Nutzung von Medien, die Zugehörigkeit zu stark Einfluss nehmenden Religionsgemeinschaften sowie die Idealbilder dessen, was ein Mensch zu sein, zu leisten und zu konsumieren hat.
Die Arbeit mit Jugendlichen, deren Betreuung und Förderung setzt zwar zunächst am Individuum an, sollte aber das umgebende System dringend mit betrachten. Immer wieder können Schulen oder Ausbildungsstätten Entwicklungsdefizite, abweichende Verhaltensweisen oder Förderziele benennen. Jedoch gelingt keine adäquate Förderung des Kindes oder Jugendlichen, wenn keine Unterstützung und Mitwirkung erreicht werden kann. Gerade wenn die Faktoren, die Schwierigkeiten im schulischen Bereich verursachen, vorwiegend im familiären Bereich liegen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern.
Die Arbeit mit Familien in prekären Lebenslagen können nicht allein Lehrer/-innen, Ausbilder/-innen und schulische Mitarbeiter/-innen in Beratungsdiensten leisten. Neben Beratungsgesprächen mit den Eltern und Jugendlichen muss ein tragfähiges Netzwerk geschaffen werden. Im schulischen Kontext sind Jugendsozialarbeiter/-innen, Beratungslehrer/-innen und Mitarbeiter/-innen des schulpsychologischen Dienstes geeignete Ansprechpartner/-innen.
Außerhalb des schulischen Kontexts sind Erziehungsberatungsstellen erste Ansprechpartnerinnen für Eltern, aber auch für Jugendliche unter 18 Jahren. Der Dienst muss jedoch aus eigener Initiative aufgesucht werden. Deshalb ist es sinnvoll, sowohl Familien als auch Jugendliche nicht nur auf diese Unterstützungsmöglichkeit hinzuweisen, sondern auch einen verbindlichen Erstkontakt zu vermitteln.
Reicht dieses Beratungsangebot nicht aus, kann das Jugendamt Familien in vielfältiger Weise unterstützen. Hier handelt es sich um sogenannte Hilfen zur Erziehung. Familien können von einer Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) nach § 31 SGB VIII unterstützt werden. Eine sozialpädagogische Fachkraft besucht und betreut die Familie ein oder mehrmals wöchentlich über einen festgelegten Zeitraum von mindestens einem halben Jahr. Ziel dieser Maßnahme ist es, Unterstützung in Erziehungsfragen, in der Alltagsbewältigung sowie in Krisen und Konflikten zu leisten und Anleitung zur Selbsthilfe zu geben. Diese Maßnahme beruht auf Freiwilligkeit und muss vonseiten der Familie ausdrücklich gewünscht und entsprechend beim Jugendamt beantragt werden.
Weiterhin ist es möglich, beim Jugendamt eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII zu beantragen. Auch hier kommen sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte zum Einsatz. Im Gegensatz zur SPFH wird hier nicht die Familie als gesamtes System unterstützt und betreut, sondern ein Kind bzw. ein/-e Jugendliche/-r wird begleitet und erhält individuelle persönliche Unterstützung. Ziel ist hier, bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen zu helfen, dabei den sozialen Bezug des Umfelds und zur Familie zu erhalten und zu stärken und zugleich Selbstständigkeit des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen zu fördern.
Neben diesen Angeboten und Möglichkeiten, die ambulant durch das Jugendamt gewährt werden können, gibt es weitere Ansprechpartner/-innen und Beratungsstellen, zum Beispiel Kinder- und jugendpsychiatrische Praxen, den sozialpädiatrischen Dienst, Schuldnerberatungsdienste, Suchtberatungsstellen und Schwangerenberatungsstellen. Diese sollten je nach Problemlage und Beratungsbedarf der jeweiligen Familie empfohlen werden können. Sofern machbar, sollte in einem Elterngespräch in der Schule oder Ausbildungsstelle der Termin für den Erstkontakt mit der fachspezifischen Beratungsstelle möglichst direkt vereinbart werden. Dies ist in einem gemeinsamen Telefonat möglich. Eltern erleben es häufig als große Hürde, sich Hilfe zu holen und sich bei einer Beratungsstelle zu melden. Werden sie hier begleitet und unterstützt, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Kontakts.
Aufgabe der Lehrer/-innen und Ausbilder/-innen ist es also nicht, jegliche Beratung und Unterstützung im außerschulischen, familiären Umfeld selbst zu leisten. Sie sollen aber in der Lage sein, entsprechende Stellen und Ansprechpartner/-innen zu nennen, an die sich die Eltern und Jugendlichen vertrauensvoll mit Fragen und Problemen wenden können.