Lese- und Rechtschreibschwäche

  • Auszubildende mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben

    Lesen und Schreiben ist in der heutigen Welt eine wichtige und zentrale Kulturtechnik. Die Schriftsprache zu beherrschen, ist für viele Schulfächer und Berufe von zentraler Bedeutung. Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, benötigen besondere Unterstützung von Lehrkräften, Eltern sowie Ausbilderinnen und Ausbildern.

  • Was ist eine Lese-Rechtschreibschwäche oder Legasthenie?

    Eine klare Definition von Legasthenie oder Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) gibt es nicht. Fachleute aus Medizin, Psychologie und Pädagogik haben unterschiedliche Ursachen, Merkmale und Folgen erkannt. Für die Beschreibung von Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben werden je nach Fachrichtung unterschiedliche Begriffe verwendet, etwa Legasthenie, Lese-Rechtschreibschwäche, Lese-Rechtschreibstörung, LRS, Dyslexie, isolierte Rechtschreibstörung, isolierte Lesestörung, Teilleistungsstörung, Teilleistungsschwäche oder funktionaler Analphabetismus. Auszubildende mit einer solchen Diagnose sollten nicht als krank oder behindert eingestuft werden oder auf andere Weise stigmatisiert werden. Die Kultusministerkonferenz (KMK) spricht deshalb von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.

    Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert die Lese-Rechtschreibstörung als eine Beeinträchtigung bei der Entwicklung schulischer Fertigkeiten. Sie liegt dann vor, wenn die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten des Schülers, der Schülerin oder der/des Auszubildenden trotz ausreichenden schulischen Unterrichts von den normalen kognitiven Fähigkeiten (Wahrnehmen, Denken und Erkennen) abweichen. Für die Diagnose (siehe: www.bvl-legasthenie.de) wird der Intelligenzquotient (IQ) der betroffenen Person mit den Leistungen im Lesen und Schreiben verglichen. Zusätzlich wird geprüft, ob medizinische Gründe wie Hörstörungen, Sehstörungen, Entwicklungsverzögerungen, Aufmerksamkeitsstörungen oder psychologische, motorische oder neurologische Erkrankungen vorliegen. Ist das nicht der Fall, liegt eine Lese-Rechtschreibstörung vor.

    Besondere Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben treten auch bei normaler oder überdurchschnittlicher Intelligenz auf. Menschen mit einer Lese-Rechtschreibschwäche können durchaus ausgeprägte mathematische oder naturwissenschaftliche Fähigkeiten haben. Eine Lese-Rechtschreibschwäche hat in der Regel nichts mit der familiären oder sozialen Lebenssituation zu tun. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Eine mögliche Ursache sind Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen im Gehirn. Betroffene haben Probleme, sprachliche Elemente und Laute den Buchstaben zuzuordnen und zu speichern. Neuere Forschungen vermuten auch genetische Ursachen für die Entwicklung einer Lese-Rechtschreibstörung.

  • Besondere Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben erkennen

    Es gibt verschiedene Merkmale, die auf besondere Schwierigkeiten eines Azubis beim Lesen und Schreiben hindeuten können. Wenn Sie im Gespräch oder bei mündlichen Erläuterungen keine Einschränkungen oder Verständnisprobleme bei einem Azubi feststellen, er aber Schwierigkeiten hat, einen Text vorzulesen, kann das ein Hinweis auf eine Lese-Rechtschreibschwäche sein. Die Lesegeschwindigkeit ist häufig niedrig, der Lesende stockt oder überspringt Zeilen im Text, er vertauscht Wörter oder fügt welche hinzu. Manche Wörter werden beim Lesen eher erraten als gelesen. Je nach Ausprägung der Schwierigkeiten haben Betroffene auch Probleme, den Inhalt des Gelesenen wiederzugeben.

    Beim Schreiben unterlaufen Menschen mit einer Lese-Rechtschreibschwäche ebenfalls viele Fehler. Häufig lassen sie einzelne Wörter, Silben oder Buchstaben aus. Ähnlich klingende Buchstaben wie f/v, b/p, g/k, t/d verwechseln sie oft und schreiben in einem Text gleiche Wörter auf unterschiedliche Weise falsch. Auch bei Grammatik und Zeichensetzung unterlaufen ihnen zahlreiche Fehler. Die Handschrift ist häufig nur schwer lesbar und variiert in der Schriftgröße.

    Haben Auszubildende vor allem bei der schriftlichen Bearbeitung von Aufgaben Konzentrationsprobleme, ist das ein weiteres Zeichen für eine besondere Schwierigkeit beim Lesen und Schreiben. Für die Betroffenen bedeuten schriftliche Aufgabenstellungen eine Höchstleistung. Sie ermüden dabei schneller, Flüchtigkeits- und Konzentrationsfehler wie ausgelassene Aufgabenteile sind die Folge.

    Bei den betroffenen Personen müssen nicht unbedingt alle möglichen Merkmale auftreten. Dazu kommt, dass Auszubildende mit Lese-Rechtschreibschwäche gezielte Vermeidungsstrategien entwickeln. So bieten sie in Gruppenarbeiten gerne an, die Ergebnisse zu präsentieren. Dafür gehen sie Aufgaben wie dem Erstellen eines Protokolls aus dem Weg.

  • Folgen für Auszubildende mit Lese-Rechtschreibschwäche

    Viele junge Menschen wissen von ihrer Schwäche. Insbesondere Auszubildende, die den mittleren Schulabschluss oder die allgemeine Hochschulreife erworben haben, ist sie bekannt.

    In der Schule und im persönlichen Umgang haben diese jungen Menschen häufig negative Erfahrungen im Zusammenhang mit ihrer Schwäche gemacht. Ihre Probleme beim Lesen und Schreiben werden oft auf mangelnde Intelligenz oder fehlende Sorgfalt zurückgeführt. Dies führt häufig dazu, dass die Auszubildenden ihre Probleme erst einmal für sich behalten. Sie möchten, dass sich ihre neuen Kolleginnen und Kollegen ein unbelastetes Bild von ihnen machen und ihre Schwäche nicht wieder im Vordergrund steht.

    Zu dem fehlenden Verständnis für ihre Schwäche kommt oft hinzu, dass die Motivation, Sorgfalt und Leistungsbereitschaft der Auszubildenden falsch eingeschätzt werden. Dabei haben viele betroffene Azubis während ihrer Schulzeit gelernt, spezifische Ideen und Strategien zu entwickeln, die ihnen bei der Lösung von Aufgaben helfen. Ebenso haben sie gelernt, mit Misserfolgen umzugehen. Die Bewertungen von Klassenarbeiten und die Zeugnisnoten entsprachen oft nicht ihrem tatsächlichen Leistungspotenzial. Sie mussten regelmäßig mehr Einsatz zeigen als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, um ihre Ziele zu erreichen. Dadurch sind sie häufig zielstrebig und ausdauernd.

    Regelmäßige Frustrationen in Lernsituationen können bei Auszubildenden mit Lese-Rechtschreibschwäche dagegen zu Selbstzweifeln, Motivationsproblemen und Lernvermeidung führen. Wenn die fachlichen Leistungen der Auszubildenden nicht richtig bewertet und gewürdigt werden, verstärkt dies den negativen Effekt noch. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Auszubildender den Stoff verstanden hat und die Inhalte mündlich sehr gut wiedergeben könnte, er bei einer schriftlichen Aufgabe aber dennoch schlechte Ergebnisse erzielt.

    Somatische Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Übelkeit können weitere Folgen der psychischen Belastung von Auszubildenden mit Lese-Rechtschreibschwäche sein. Das gilt besonders, wenn die Betroffenen selbst nichts von ihrer Schwäche beim Lesen und Schreiben wissen oder ihr Umfeld mit Unverständnis und Vorhaltungen reagiert.

  • Wie kann ich meinen Azubi unterstützen?

    Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche helfen in erster Linie Verständnis und Ermutigung durch die Ausbilder/-innen sowie Kolleginnen und Kollegen. Stellen Sie bei Ihren Auszubildenden nicht deren Schwächen in den Vordergrund, sondern fördern Sie deren Stärken. So stärken Sie das Selbstwertgefühl der Auszubildenden. Zeigen Sie ihnen auch, dass es normal ist, verschieden zu sein, und dass jeder Mensch andere Stärken und Schwächen hat. Das ist dann gelebte Inklusion.

    Ausbilder/-innen dürfen eine Lese-Rechtschreibschwäche jedoch nicht verharmlosen. Denn die Probleme, die betroffene Auszubildende aus der Schule kennen, werden sie meist auch während ihrer Ausbildung haben, insbesondere im Berufsschulunterricht. Gerade die Verbindung von Theorie und Praxis in der dualen Ausbildung ermöglicht es Ihnen, die Stärken von Auszubildenden zu nutzen und ihr Selbstbewusstsein zu fördern.

    Vermeiden Sie es, einzelne Auszubildende aus der Gruppe auszugrenzen oder für einzelne Übungen zu separieren. Wenn Azubis mit Lese-Rechtschreibschwäche individuelle Übungsaufgaben benötigen, bauen Sie diese in den allgemeinen Ausbildungsablauf ein. Planen Sie Übungseinheiten in überschaubaren Stoff- und Zeiteinheiten. Denn Überforderung führt zu Frustration und sinkender Motivation fürs Lernen.

    Es gibt aber auch ganz einfache Unterstützungsmöglichkeiten für Ausbilder/-innen. Lesen Sie betroffenen Auszubildenden die Aufgabenstellung vor. Wenn Sie eine Gruppe von Auszubildenden betreuen, dann lesen Sie allen gemeinsam die Aufgabe vor oder lassen Sie sie von Freiwilligen vortragen. Geben Sie betroffenen Auszubildenden die nötige Zeit beim Lesen von Texten. Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche fällt es vor allem schwer, handgeschriebene Texte oder Texte in kleiner Schrift zu lesen. Bereiten Sie deshalb ihre Texte und Aufgaben digital am PC und mit entsprechender Schriftgröße vor (14 oder 16 Punkt).

    Ermöglichen Sie auch dem/der Auszubildenden, die keinen PC am Arbeitsplatz haben,  Texte und Aufgabenlösungen am PC zu erstellen. Nutzen Sie dabei Hilfsmittel wie Vorlese- oder Korrektursoftware. Gerade auch in der Berufsschule kann das eine wesentliche Unterstützung für Ihre/-n Auszubildenden sein. Multiple-Choice-Aufgaben sind für Auszubildende einfacher zu bearbeiten als offene Aufgabenstellungen. Planen Sie ausreichend Zeit für die Vorbereitung auf Prüfungen ein und halten Sie regelmäßigen Kontakt zur Berufsschule.

    Während der praktischen Ausbildung sollten Sie eine entspannte und möglichst störungsfreie Arbeitsatmosphäre schaffen. Geben Sie klare und eindeutige Arbeitsanweisungen. Besprechen Sie diese anschließend mit Ihren Azubis. Bei komplexen Aufgabenstellungen können Sie Auszubildende mit Lese-Rechtschreibschwäche bei der Vorstrukturierung der Aufgaben unterstützen.

    Nutzen Sie für alle Auszubildenden die Möglichkeiten eines regelmäßigen und qualifizierten Feedbacks. Auszubildende wünschen sich regelmäßige Informationen und Rückmeldungen zu ihrem Ausbildungsstand. Bei Azubis mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben erhalten Sie so individuelle Möglichkeiten zur Unterstützung und Förderung.

    Bei einem/einer Auszubildenden Lese-Rechtschreibschwäche können auch starke somatische Beschwerden auftreten oder der Verdacht von psychischen Erkrankungen wie Angstzuständen oder Depressionen bestehen. In einem solchen Fall können Sie als Ausbilder/-in nicht mehr alleine tätig werden. Unterstützen Sie Ihre/-n Auszubildenden dann in einem persönlichen Gespräch darin, professionelle Hilfe von Ärztinnen. Ärzten, Therapeutinnen oder Therapeuten in Anspruch zu nehmen.

  • Nachteilsausgleich als gesetzlich verankerte Unterstützungsmöglichkeit

    Das Berufsbildungsgesetz (BBIG) und die Handwerksordnung sehen für Menschen mit Handicap oder Einschränkungen einen individuellen Nachteilsausgleich vor. Diesen Nachteilsausgleich sollten Sie frühzeitig zusammen mit dem Auszubildenden bei der jeweils prüfenden Stelle (IHK, HWK oder andere) beantragen.

    Ein Nachteilsausgleich kann für alle Ausbildungsprüfungen (Zwischen- und Abschlussprüfungen) und Weiterbildungsprüfungen beantragt werden. Bei vielen Kammern muss der Antrag spätestens mit der Anmeldung zur jeweiligen Prüfung vorliegen. Empfehlenswert ist jedoch, sich im Vorfeld bei der IHK oder HWK beraten zu lassen. Die Gründe für den Nachteilsausgleich müssen in der Regel von einer Fachärztin oder einem Facharzt bescheinigt werden.

    Beispiele für einen möglichen Nachteilsausgleich bei besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben sind eine Zeitverlängerung, mehr Pausen, Hilfe bei der Prüfungssprache (beispielsweise durch eine Hilfsperson, die die Aufgaben vorliest), eine Bearbeitung der Prüfung am Computer oder Ähnliches. Dabei geht es nicht um Vereinfachung der Prüfungsbedingungen oder eine bessere Bewertung der Prüfungsleistungen. Der Nachteilsausgleich soll lediglich die Nachteile ausgleichen, die Auszubildende mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben in den Prüfungen haben.

  • Hier finde ich Hilfe: Beratungs- und Unterstützungsangebote

    Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL) bietet Beratung per E-Mail (erwachsene(at)bvl-legasthenie.de) an und informiert auf seiner Website - www.bvl-legasthenie.de - über Diagnose-, Therapie- und Fördermöglichkeiten. Der Ratgeber "Legasthenie und Dyskalkulie im Erwachsenenalter", der auch zu den Themen Legasthenie und Dyskalkulie in der Ausbildung informiert, kann unter kostenfrei bestellt werden (Download kostenfrei). Die Gruppe "Junge Aktive" des BVL bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen (bis 35 Jahre) mit Legasthenie und/oder Dyskalkulie Infos und Erfahrungsaustausch.

    Auf der Website der LegaKids Stiftungs-GmbH www.legakids.net kann die Info-Broschüre „Legasthenie, LRS & Co“ bestellt oder kostenfrei als PDF heruntergeladen werden.

    Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) informiert in einem Handbuch für die Ausbildungs- und Prüfungspraxis speziell über den Nachteilsausgleich für behinderte Auszubildende, Bestellmöglichkeit: www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/id/7407

 
 
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