Der Anteil traumatisch belasteter Menschen unter den Geflüchteten ist deutlich höher als bei der einheimischen Bevölkerung. Die meisten Flüchtlinge mussten lange Zeit in Bürgerkriegs- oder Krisengebieten aushalten oder sie stammen aus Ländern, in denen die Menschenrechtssituation katastrophal ist. Von daher ist es nicht überraschend, dass viele von ihnen schwere psychische Belastungen mit sich herumtragen.
Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass diese Menschen an sogenannten Traumafolgestörungen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Im Exil erholen sich die meisten nach einiger Zeit aus eigener Kraft und sind schnell arbeitsfähig. Wie verbreitet psychische Erkrankungen bei Geflüchteten infolge von Traumatisierungen durch Gewalterlebnisse tatsächlich sind, kann niemand sagen. Die Schätzungen reichen von 20 bis 50 Prozent der Flüchtlinge.
Junge Geflüchtete, die es schaffen, eine Ausbildung aufzunehmen, sind in aller Regel nicht psychisch erkrankt. Man muss jedoch davon ausgehen, dass viele von ihnen seelisch belasteter sind als einheimische Auszubildende. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. An erster Stelle stehen die notwendige kulturelle Anpassung, die Flüchtlinge leisten müssen, und die Ablehnung, die sie in unserer Gesellschaft häufig spüren. Traumatisierende Erfahrungen gehören jedoch ebenfalls zu den Ursachen für Schwierigkeiten und psychische Auffälligkeiten. Deshalb sind sie auch ein Thema im Zusammenhang mit der Integration in den Arbeitsmarkt.
Seelische Wunden ...
Die Begriffe "Trauma" und "Traumatisierung" werden im Alltag recht locker benutzt. Dabei ist etwas aus dem Blick geraten, dass "Trauma" eigentlich nichts anderes heißt als "Wunde" oder "Verletzung". Wenn wir über "Traumatisierte" sprechen, reden wir also über Menschen, die seelisch verletzt worden sind. Bei Flüchtlingen sind diese Verletzungen meist entstanden, weil sie schwere Gewalt oder Grausamkeiten erlebt haben. Beispielsweise wurden sie misshandelt, Verwandte sind gefoltert oder getötet worden oder die Betroffenen lebten jahrelang in einer Bürgerkriegssituation und waren durch Bombenangriffe oder Straßenkämpfe in Lebensgefahr.
... die im Verhalten gespiegelt werden ...
Der Körper ist der Spiegel der Seele. Die Psyche und ihre Verwundungen können wir bekanntlich nicht sehen. Wir können nur beobachten, welchen Eindruck ein Mensch macht, wie er sich verhält, und wir können hören, was er sagt. Unwillkürlich fragen wir, was mit jemandem "nicht stimmt", wenn sein Verhalten etwa ängstlich oder aggressiv ist oder uns einfach nur unpassend oder ungewöhnlich vorkommt. Bei bestimmten Auffälligkeiten können wir das Verhalten als Folge von traumatischen Erlebnissen interpretieren.
... und den Menschen keine Ruhe lassen.
Psychische Traumatisierung bedeutet in erster Linie, dass jemand bestimmte schmerzhafte Erinnerungen nicht loswerden kann. Situationen, in denen diese Menschen große Schmerzen oder Todesangst ausgestanden haben, kehren vor allem in nächtlichen Alpträumen zurück. Aber auch tagsüber können die Erinnerungen Ängste und andere negative Gefühle auslösen und die Konzentration beeinträchtigen. Die Betroffenen leiden außerdem häufig unter Kopfschmerzen, starken körperlichen Anspannungen, Nervosität und Unruhe.
Wenn ein junger Mensch unter traumatischen Erinnerungen leidet, bedeutet das nicht automatisch, dass seine Leistungsfähigkeit drastisch eingeschränkt ist. Möglicherweise sind gerade der stabile Rahmen des betrieblichen Alltags und die positive Zukunftsperspektive ein ganz wichtiger Beitrag, dass jemand schmerzhafte Erinnerungen bewältigen und hinter sich lassen kann.
Sind die Belastungen jedoch schwerer, ist das Leistungsvermögen reduziert. Infolge von Schlafmangel, Kopfschmerzen und Verspannungen können diese Azubis durch Konzentrationsprobleme, Grübeleien, ängstliche oder depressive Verstimmungen, Impulsivität und durch Fehlzeiten auffallen. Welche Auffälligkeiten tatsächlich auftreten, wird von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Die Probleme und Nöte der Betroffenen können nur geringfügig oder sehr stark ausgeprägt sein. Das lässt sich nicht verallgemeinern.
An der Oberfläche sind es in der Tat die gleichen Probleme, die auch andere Auszubildende mit besonderem Förderbedarf zeigen. Aber die dahinterstehenden Gründe unterscheiden sich. Bei jungen Flüchtlingen ist die Wahrscheinlichkeit größer als bei einheimischen, dass diesen Auffälligkeiten traumatische Erfahrungen zugrunde liegen.
Traumatisch belastete Menschen erleben wir häufig als besonders verletzlich oder dünnhäutig. Manche wirken auf uns, als seien sie emotional nicht sehr lebendig und in sich gekehrt. Andere fallen durch besondere Empfindlichkeit oder Impulsivität auf.
Allein aus solchen beobachtbaren Auffälligkeiten lässt sich jedoch nicht schließen, dass jemand traumatisiert ist. Es gibt nur einen Weg, um zu klären, ob jemand von schmerzhaften Erinnerungen gequält wird: Man muss mit dem Menschen sprechen. Scheuen Sie sich nicht, Azubis auf Ihre Beobachtungen anzusprechen und nach dem Grund für die Belastung zu fragen. Allerdings sollten Sie auf keinen Fall jemanden drängen, eine Leidensgeschichte zu erzählen. Es reicht völlig aus, wenn Sie verstehen, dass jemand unter den Nachwirkungen schmerzhafter Erfahrungen leidet. Daraus ergeben sich für Sie schon die nächsten Handlungsschritte.
Letztlich ist es tatsächlich gar nicht so wichtig, die genauen Ursachen für psychische Probleme zu erkennen. Es sind ohnehin meist mehrere Faktoren im Spiel. Wenn der Ausbildungserfolg in Gefahr ist, müssen Sie Auszubildende in jedem Fall ansprechen und über Konsequenzen nachdenken. Haben Sie bis zu diesem Zeitpunkt schon ein Vertrauensverhältnis aufbauen können, stehen die Chancen gut, dass ihr Azubi auch peinliche oder schmerzhafte Dinge wie traumatische Erinnerungen als Problem benennt.
Wenn psychische Probleme den Ausbildungserfolg gefährden, sollten Auszubildende an eine passende Beratungseinrichtung vermittelt werden. Dort muss geklärt werden, ob eine psychotherapeutische Behandlung zu empfehlen ist. Ist bereits deutlich geworden, dass traumatische Belastungen eine Rolle spielen, sollten Sie Ihre Azubis direkt an eine Stelle vermitteln, die auf diese Problematik spezialisiert ist.
Es gibt bundesweit viele Beratungs- und Behandlungsangebote, die sich auf die häufigsten Belastungen von Geflüchteten und sogenannte Traumafolgestörungen eingestellt haben.
Darüber hinaus gibt es in Deutschland seit mehr als 20 Jahren die psychosozialen Beratungs- und Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Kontaktadressen finden Sie auf der Internetseite des Dachverbands "Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer" (BAfF) unter www.baff-zentren.org/mitgliedszentren-und-foerdermitglieder.
Eine auch für Laien verständliche und vertiefende Einführung bietet das Buch von Dima Zito und Ernest Martin: Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen. Ein Leitfaden für Fachkräfte und Ehrenamtliche, Beltz Juventa, Weinheim 2016.