Zunächst die gute Nachricht aus der Praxis: Die meisten Geflüchteten, die einen Ausbildungsplatz erhalten haben, sind äußerst motiviert in der Ausbildung. Sie haben schon einige Hürden im Integrationsprozess genommen, sind sprachlich schon recht weit und sehen die Chancen, die ihnen ein Ausbildungsplatz bietet.
Dennoch kann es auch bei Geflüchteten im Laufe der Ausbildung zu geringer Lern- und Leistungsmotivation kommen. Jeder von Ihnen kennt die Situation, dass Ihr Azubi lustlos ist, nicht die erforderlichen Ergebnisse liefert, sich gerne mit allem anderen, nur nicht mit der Arbeit beschäftigt oder auf Arbeitsaufträge abweisend reagiert. Aber: All dies muss nicht zwingend seinen Grund in der vermeintlichen "Faulheit" des Azubis haben – hinter solchem Verhalten können auch ganz andere Ursachen stecken.
Die Ursachen für fehlende Motivation oder plötzlichen Motivationsverlust während der Ausbildung können vielfältig sein. Bei Geflüchteten kommt zusätzlich zu den Ihnen bekannten Gründen von Störungen in der Lern- und Leistungsmotivation die besondere Lebenssituation hinzu, in der sie sich befinden. Überlegen Sie, ob sich folgende spezifische Einflussfaktoren negativ auf die Motivation Ihres Azubis auswirken könnten:
Darüber hinaus sind auch die Ursachen zu bedenken, die generell bei allen Jugendlichen zu Motivationsstörungen führen können, beispielsweise:
In jedem Fall sollten die Ursachen der Motivationsstörung in einem Gespräch geklärt werden. Geben Sie dem oder der Auszubildenden in einem ungestörten Vier-Augen-Gespräch Rückmeldung über Ihre Beobachtungen. Machen Sie deutlich, dass Sie helfen und unterstützen möchten, wo es möglich ist, und ermutigen Sie den/die Auszubildende/-n, seine oder ihre Situation zu beschreiben (siehe dazu den Wissensbaustein "Feedbackgespräche").
Bei Problemen, die bei Flüchtlingen zu mangelnder Leistungs- und Lernmotivation führen, können folgende Lösungsansätze hilfreich sein:
Der Umgang mit fehlender Lern- und Leistungsmotivation umfasst auch die Reflexion des eigenen Lehrverhaltens und der Gestaltung des Lernprozesses.
Azubis brauchen klare Ziele, die positive Emotionen hervorrufen und erreichbar sein müssen. Arbeit – wie alles im Leben – macht viel mehr Spaß, wenn man den persönlichen Nutzen erkennt. Und auch die lästigste Aufgabe lässt sich viel leichter bewältigen, wenn man weiß, wofür man es lernt oder tut und was die nächsten Schritte sein werden. Für jeden ist es schwierig, sich voll reinzuhängen, ohne zu wissen, was man davon hat!
Generell gilt: "Man muss selbst brennen, um andere zu entzünden." Denn wer begeistert sich schon für etwas, was lust- und leidenschaftslos vermittelt wurde?
Ein wesentlicher Motivationsfaktor ist die Ausgestaltung der Ausbildungseinheiten. Wir Ausbilder und Ausbilderinnen kennen alle die Vier-Stufen-Methode. Die Erfahrung zeigt, dass die Stufe 1 im Bereich "Vorbereitung des Azubis" (Befangenheit nehmen, Kontakt herstellen, Interesse wecken, Motivation vermitteln, "Abholen") oft zu kurz kommt. Dieser Bereich ist aber genau der, mit dem man junge Menschen "packen" und begeistern kann: Wer Lust auf die bevorstehende Tätigkeit hat, wird keine geringe Lern- oder Leistungsmotivation haben! Achten Sie aber darauf, diesen Teil der Unterweisung auf die Vorkenntnisse geflüchteter Azubis und auch sprachlich anzupassen – damit Ihre Botschaft auch ankommt.
Versuchen Sie stets, Ihre Ausbildung lebendig und aktiv zu gestalten. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Wissen zu vermitteln. Die bekannteste Methode ist der Frontalunterricht, der viele Vorzüge hat. Sie hat aber den Nachteil, dass der Azubi nicht aktiv in die Wissensvermittlung eingebunden ist. Im Betrieb ist dieser Unterricht mit einem langen Monolog zu vergleichen. Geflüchtete Azubis sind im Frontalunterricht oft sprachlich überfordert. Versuchen Sie deshalb, Ihren Azubi häufiger aktiv in eine theoretische oder praktische Unterweisung mit einzubinden, beispielsweise durch Gruppenarbeiten, aktivierende Lehrgespräche, die Projektmethode oder den Lernauftrag.
Neben der lernförderlichen Gestaltung der Ausbildungseinheiten gibt es aber auch grundsätzliche Möglichkeiten, Ihren Azubi zu mehr Lernbereitschaft und Leistung zu motivieren: Zeigen Sie doch einfach einmal selbst mehr Leidenschaft. Berichten Sie von spannenden Seminaren, Tätigkeiten oder Fällen aus der Praxis (gerne auch über Fälle, die schiefgegangen sind, und was Sie getan haben, um alles noch zu "retten").
Klar ist jedoch: Sie können die Lern- und Leistungsmotivation Ihrer Azubis nur in begrenzt beeinflussen. Ändert sich trotz aller Bemühungen Ihrerseits nichts, kann die Ursache vielleicht eine ganz andere sein. Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Azubi und beobachten Sie ihn oder sie genau. Vielleicht können Sie sich gemeinsam der Ursache nähern und Abhilfe schaffen. Scheuen Sie sich nicht, auch externe Unterstützung einzubeziehen.