Geringe Lern- und Leistungsmotivation bei geflüchteten Azubis

  • Woran erkenne ich, dass mein Azubi nicht motiviert ist?

    Zunächst die gute Nachricht aus der Praxis: Die meisten Geflüchteten, die einen Ausbildungsplatz erhalten haben, sind äußerst motiviert in der Ausbildung. Sie haben schon einige Hürden im Integrationsprozess genommen, sind sprachlich schon recht weit und sehen die Chancen, die ihnen ein Ausbildungsplatz bietet.

    Dennoch kann es auch bei Geflüchteten im Laufe der Ausbildung zu geringer Lern- und Leistungsmotivation kommen. Jeder von Ihnen kennt die Situation, dass Ihr Azubi lustlos ist, nicht die erforderlichen Ergebnisse liefert, sich gerne mit allem anderen, nur nicht mit der Arbeit beschäftigt oder auf Arbeitsaufträge abweisend reagiert. Aber: All dies muss nicht zwingend seinen Grund in der vermeintlichen "Faulheit" des Azubis haben – hinter solchem Verhalten können auch ganz andere Ursachen stecken.

  • Warum strengt sich mein Azubi nicht genug an?

    Die Ursachen für fehlende Motivation oder plötzlichen Motivationsverlust während der Ausbildung können vielfältig sein. Bei Geflüchteten kommt zusätzlich zu den Ihnen bekannten Gründen von Störungen in der Lern- und Leistungsmotivation die besondere Lebenssituation hinzu, in der sie sich befinden. Überlegen Sie, ob sich folgende spezifische Einflussfaktoren negativ auf die Motivation Ihres Azubis auswirken könnten:

    • Sprachliche Defizite, die trotz Anstrengungen aller Beteiligten weiterhin bestehen, verursachen Frustration im Umgang mit Kollegen Kolleginnen. Defizite in der Fachsprache hemmen die Leistungen in der Berufsschule.
    • Die aufenthaltsrechtliche Situation des oder der Geflüchteten ist unsicher, zum Beispiel bei einer ungeklärten Aufenthaltsgestattung bei subsidiär Geschützten. In diesem Fall kann sich die fehlende Perspektive auf die Leistungsmotivation auswirken.
    • Persönliche Probleme, die sich aus der Fluchtsituation ergeben, wirken sich auf die Lern- und Arbeitsmotivation aus, z.B. Geldsorgen (Verschuldung), Versagensängste, fehlender Kontakt zu Familienangehörigen, die in der Heimat zurückgelassen wurden oder sich ebenfalls noch auf der Flucht befinden.
    • gesundheitliche Probleme als Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen (etwa Schlafstörungen, Essstörungen, Depressionen, Unkonzentriertheit)

    Darüber hinaus sind auch die Ursachen zu bedenken, die generell bei allen Jugendlichen zu Motivationsstörungen führen können, beispielsweise:

    • Es ist dem Azubi gar nicht bewusst, dass es an der nötigen Anstrengung mangelt. Er oder sie denkt, es "wird schon reichen". Es ist Ihrem Azubi nicht klar, was Sie genau erwarten, weil Qualitäts- oder Quantitätsanforderungen nicht klar definiert und begründet sind (mangelndes Feedback oder fehlender Bezug zur Arbeitswelt).
    • Der Ausbildungsberuf ist nicht der Wunschberuf oder erfüllt nicht die Erwartungen – daher fehlt der Spaß an der Arbeit.
    • Die Anforderungen sind zu hoch oder zu niedrig (Über- oder Unterforderung).
    • Ihr Azubi vergleicht sich mit anderen, die noch schwächer oder schlampiger sind.
    • Ihr Azubi wird nicht genug gelobt.
    • Der oder die Jugendliche wird zu oft kritisiert (Feedback).
    • Ihr Azubi hat Angst, sich zu blamieren.
    • Ihr Azubi ist ein anderer Lerntyp und benötigt einen anderen Unterweisungsstil.
    • Häufig sind junge Menschen in ihrem bisherigen Leben auch ohne schulische oder berufliche Anstrengungen "durchgekommen".
    • Es fehlt ein fachliches oder menschliches Vorbild, auf das sich Ihr Azubi beziehen kann.
  • Was kann ich tun, um meine Auszubildenden zu motivieren?

    In jedem Fall sollten die Ursachen der Motivationsstörung in einem Gespräch geklärt werden. Geben Sie dem oder der Auszubildenden in einem ungestörten Vier-Augen-Gespräch Rückmeldung über Ihre Beobachtungen. Machen Sie deutlich, dass Sie helfen und unterstützen möchten, wo es möglich ist, und ermutigen Sie den/die Auszubildende/-n, seine oder ihre Situation zu beschreiben (siehe dazu den Wissensbaustein "Feedbackgespräche").

    Bei Problemen, die bei Flüchtlingen zu mangelnder Leistungs- und Lernmotivation führen, können folgende Lösungsansätze hilfreich sein:

    • Um die Situation Ihrer Azubis besser verstehen zu können, kann es sinnvoll sein, die Vertrauenspersonen oder ehrenamtlichen Betreuer/-innen der Geflüchteten einzuladen. Um das Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden, sollten Sie das jedoch immer vorher mit Ihren Azubis abstimmen – wenn sie über 18 sind müssen Sie das sogar.
    • Theoretische oder fachliche Paten und Patinnen im Betrieb können die Azubis individuell dabei unterstützen, schulische Defizite aufzuarbeiten.
    • (Fach-)Sprachliche Förderung und begleitende Ausbildungshilfen können ehrenamtliche Paten (zum Beispiel der Initiative "VerA") außerhalb des Betriebs leisten.
    • Bei gesundheitlichen Problemen stellen Sie Kontakt zu einem Arzt, einer Ärztin oder einer psycho-sozialen Beratungsstelle her.
    • Schaffen Sie eine angenehme Lernatmosphäre, zum Beispiel durch frische Luft, einen ergonomischen Arbeitsplatz und genügend Raum, um sich zu bewegen.
    • Aufenthaltsrechtliche Probleme können Sie nicht beeinflussen. Es ist aber hilfreich, sich bei der Ausländerbehörde oder beim Jugendamt über den Anlass für die Sorgen des Azubis zu erkundigen.
    • Bei Überforderung vereinbaren Sie erreichbare Ziele, die Erfolgserlebnisse versprechen:  zwei oder drei kleinere Ziele mit einer Mischung aus leichten und schwierigen Aufgaben.
    • Förderlich ist es auch, Geflüchtete gezielt in Gruppenarbeiten einzubinden. Der Kontakt und Zusammenarbeit mit anderen ist eine wertvolle, stabilisierende Maßnahme. Lassen Sie beispielsweise in der Gemeinschaft Gruppenziele erarbeiten, mit denen sich alle identifizieren können. Dabei soll es nicht ausschließlich um fachliche Ziele gehen, sondern etwa um das gemeinsame Erarbeiten von Regeln zur Erleichterung des Arbeitsalltags und zur Gestaltung des Arbeitsumfelds. Dies stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Teamgeist. Ein weiterer Vorteil: Azubis halten sich eher an Regeln, die sie selbst mitgestaltet haben.
  • Das eigene Lehrverhalten reflektieren

    Der Umgang mit fehlender Lern- und Leistungsmotivation umfasst auch die Reflexion des eigenen Lehrverhaltens und der Gestaltung des Lernprozesses.

    Azubis brauchen klare Ziele, die positive Emotionen hervorrufen und erreichbar sein müssen. Arbeit – wie alles im Leben – macht viel mehr Spaß, wenn man den persönlichen Nutzen erkennt. Und auch die lästigste Aufgabe lässt sich viel leichter bewältigen, wenn man weiß, wofür man es lernt oder tut und was die nächsten Schritte sein werden. Für jeden ist es schwierig, sich voll reinzuhängen, ohne zu wissen, was man davon hat!

    Generell gilt: "Man muss selbst brennen, um andere zu entzünden." Denn wer begeistert sich schon für etwas, was lust- und leidenschaftslos vermittelt wurde?

    Ein wesentlicher Motivationsfaktor ist die Ausgestaltung der Ausbildungseinheiten. Wir Ausbilder und Ausbilderinnen kennen alle die Vier-Stufen-Methode. Die Erfahrung zeigt, dass die Stufe 1 im Bereich "Vorbereitung des Azubis" (Befangenheit nehmen, Kontakt herstellen, Interesse wecken, Motivation vermitteln, "Abholen") oft zu kurz kommt. Dieser Bereich ist aber genau der, mit dem man junge Menschen "packen" und begeistern kann: Wer Lust auf die bevorstehende Tätigkeit hat, wird keine geringe Lern- oder Leistungsmotivation haben! Achten Sie aber darauf, diesen Teil der Unterweisung auf die Vorkenntnisse geflüchteter Azubis und auch sprachlich anzupassen – damit Ihre Botschaft auch ankommt.

    Versuchen Sie stets, Ihre Ausbildung lebendig und aktiv zu gestalten. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Wissen zu vermitteln. Die bekannteste Methode ist der Frontalunterricht, der viele Vorzüge hat. Sie hat aber den Nachteil, dass der Azubi nicht aktiv in die Wissensvermittlung eingebunden ist. Im Betrieb ist dieser Unterricht mit einem langen Monolog zu vergleichen. Geflüchtete Azubis sind im Frontalunterricht oft sprachlich überfordert. Versuchen Sie deshalb, Ihren Azubi häufiger aktiv in eine theoretische oder praktische Unterweisung mit einzubinden, beispielsweise durch Gruppenarbeiten, aktivierende Lehrgespräche, die Projektmethode oder den Lernauftrag.

    Neben der lernförderlichen Gestaltung der Ausbildungseinheiten gibt es aber auch grundsätzliche Möglichkeiten, Ihren Azubi zu mehr Lernbereitschaft und Leistung zu motivieren: Zeigen Sie doch einfach einmal selbst mehr Leidenschaft. Berichten Sie von spannenden Seminaren, Tätigkeiten oder Fällen aus der Praxis (gerne auch über Fälle, die schiefgegangen sind, und was Sie getan haben, um alles noch zu "retten").

    Klar ist jedoch: Sie können die Lern- und Leistungsmotivation Ihrer Azubis nur in begrenzt beeinflussen. Ändert sich trotz aller Bemühungen Ihrerseits nichts, kann die Ursache vielleicht eine ganz andere sein. Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Azubi und beobachten Sie ihn oder sie genau. Vielleicht können Sie sich gemeinsam der Ursache nähern und Abhilfe schaffen. Scheuen Sie sich nicht, auch externe Unterstützung einzubeziehen.

  • Wie machen es die anderen? Erfolgreiche Lösungsansätze aus der Praxis

  • Hier finde ich Hilfe: Beratungs- und Unterstützungsangebote

 
 
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