"Wir brauchen die Fachkräfte"

„Nicht nur die Technik, sondern das Leben und den Alltag verstehen“

Thilo Lindner ist seit 2011 Ausbildungsleiter bei Lapp Kabel in Stuttgart und verantwortlich für die gewerblich-technische Ausbildung in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Zurzeit betreut er 34 Auszubildende, Einstiegsqualifikanten, Studenten und Praktikanten. Thilo Lindner qualifiziert junge Menschen aus neun Nationen in den Berufen Mechatroniker/-in, Maschinen- und Anlagenführer/-in und gibt zusätzlich Förderunterricht in Wirtschafts- und Sozialkunde für alle technischen Berufe sowie für Fachinformatiker/-innen. Im Ausbildungszentrum des Unternehmens führt er Metall- und Elektrokurse durch. Thilo Lindner ist außerdem als ehrenamtlicher IHK-Prüfer tätig und Mitglied in den verschiedenen Fachkommissionen in der Aus- und Weiterbildung für Baden-Württemberg.


Interview

Herr Lindner, seit wann bilden Sie Flüchtlinge aus?
Seit 2013 qualifiziere ich Menschen aus dem Irak und Eritrea, die damals in größerer Zahl nach Deutschland kamen, und mache sie fit für die Ausbildung. Dabei konnte ich auf Qualifizierungsmodule zurückgreifen, die wir bereits für lernschwache Auszubildende anwandten. Als 2015 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, fragten unsere Eigentümerfamilie und der Vorstand des Unternehmens, welche Möglichkeiten und Ressourcen wir hätten, weitere Geflüchtete auszubilden. Unsere Firmengründer kamen selbst in 1950er-Jahren aus Thüringen nach Baden-Württemberg und wurden gut aufgenommen. Deshalb war es den Eigentümern wichtig, dass auch andere Menschen, die ihr Land verlassen müssen, die Chance erhalten, sich zu integrieren. So wurde aus unserem spontanen Engagement ein Programm für Geflüchtete.

Wie sah das konkret aus?
Wir beschlossen, pro Jahr zusätzlich drei Geflüchtete einzustellen und zu Maschinen- und Anlagenführern auszubilden. Die KAUSA-Servicestelle der IHK Region Stuttgart vermittelte uns Teilnehmer, die unser Unternehmen und die beruflichen Inhalte der Einstiegsqualifikation zunächst in einer Schnupperwoche kennenlernten. Anschließend fragten wir sie, ob sie wirklich einen technischen Beruf ergreifen wollten. Die Fertigungsleiter der drei Produktionswerke unseres Standorts und ich entschieden dann, welche Kandidaten für die Einstiegsqualifikation und eine Ausbildung infrage kamen. Die drei zusätzlichen Plätze wurden von der Familie Lapp finanziert. Es entfallen also keine regulären Ausbildungsstellen.

Wie viele Kandidaten konnten eine Ausbildung beginnen?
2016 entschieden sich nach der Schnupperwoche fünf von zehn Geflüchteten für die halbjährige Einstiegsqualifikation, von denen wir drei dann in die Ausbildung übernehmen konnten. Dass wir nur drei zusätzliche Ausbildungen anbieten konnten, hatten wir vorher deutlich gemacht. Die Einstiegsqualifizierung hilft aber hoffentlich auch den anderen Qualifikanten, eine Arbeitsstelle zu finden.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit den neuen Auszubildenden?
Das Programm funktionierte so gut, dass zwei weitere GmbHs unseres Unternehmens sich 2017 ebenfalls an dem Programm beteiligten. Die Bereiche Logistik und IT bilden jetzt zwei Azubis als Fachkraft für Lagerlogistik und Fachinformatiker aus, sodass das Programm nun schon fünf statt drei zusätzliche Ausbildungsplätze umfasst. Seit September 2017 haben wir damit insgesamt acht Flüchtlinge in der Ausbildung und fünf in der Einstiegsqualifizierung. Dazu kommt ein Syrer, der so gut war, dass wir ihm ein Wirtschaftsinformatik-Studium an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg finanzieren.

Aus welchen Ländern kommen die Flüchtlinge in Ausbildung?

Derzeit aus Afghanistan, Syrien, Kamerun, Somalia und Eritrea. Im kommenden Ausbildungsjahr wollen wir uns auf Flüchtlinge konzentrieren, die aus den Kriegsländern Syrien, Afghanistan und Eritrea stammen.

Wie gehen Sie in der Einstiegsqualifizierung methodisch vor?
Wir achten darauf, dass die Qualifikanten einmal in der Woche die Berufsschule besuchen, damit sie auch diese kennenlernen. Außerdem haben wir einen achtstündigen Förderunterricht in Wirtschafts-, Sozial- und Gemeinschaftskunde organisiert, der an insgesamt 30 Lerntagen bei uns in der Firma stattfindet. Wir haben dafür 14 Module entwickelt, in den die Teilnehmer das Deutschland, die Regionen und die europäischen Länder kennenlernen, aber auch die Bedeutung der verschiedenen Gesetze etwa zum Jugendschutz, Arbeitsschutz oder Mutterschutz oder die Themen Energie- und Qualitätsmanagement. Die neuen Mitarbeiter sollen nicht nur die Technik, sondern auch das Leben und den Alltag in Deutschland verstehen. Zu den verschiedenen Themen erstellen sie mithilfe von Büchern und anderen Quellen eigenständig Präsentationen. In der Berufsschule stehen sie ja irgendwann vor Prüfungen, die auf Auszubildende mit neun Schuljahren in Deutschland ausgerichtet sind.

Wie sieht die praktische Ausbildung aus?

Wir haben in den einzelnen Produktionswerken einfache Maschinen festgelegt, an denen die Qualifikanten und Auszubildenden angelernt werden. Dort erfahren sie, was Produktion bedeutet – mit Unterweisungsprotokollen und allem, was dazugehört. Das ist aber der ganz normale Prozess wie bei allen anderen Praktikanten und Auszubildenden auch. Nur bei den Themen Sicherheit am Arbeitsplatz und Gefahrstoffe führen wir zusammen mit der Berufsgenossenschaft gesonderte Schulungen für die Flüchtlinge durch.

Arbeiten Sie mit Mentoren- oder Tandemprogrammen?
Der Mentor, der die Flüchtlinge tagtäglich begleitet, bin ich. Es gibt wie für alle Auszubildende Feedback-Gespräche, an denen jeweils der Azubi, der Fertigungsleiter, der jeweilige Teambetreuer und ich teilnehmen. In den Gesprächen klären wir, wo die Stärken und Schwächen des Azubis liegen und was wir gemeinsam verbessern können. Die Auszubildenden im zweiten Lehrjahr unterstützen dann die Einstiegsqualifikanten. Das Erstaunliche ist, dass die Teams sich unabhängig von der Landesherkunft finden. Es betreut also nicht automatisch der ältere Afghane einen jüngeren. Das richtet sich eher nach persönlicher Sympathie.

Welche Erfahrungen machen sie mit den interkulturellen Teams?
Mit Unterstützung der Carl-Duisberg-Gesellschaft und der IHK haben wir einen zweitägigen interkulturellen Workshop mit allen 24 Azubis getestet, um das gegenseitige Verständnis zu stärken und dabei zu helfen, Konflikte zu lösen. Die gibt es natürlich. Es kommt aber auch vor, dass die älteren geflüchteten Azubis nicht nachvollziehen können, wie undiszipliniert ihre jüngeren deutschen Kollegen sich manchmal verhalten, obwohl diese in einem friedlichen Land mit guter Schulbildung aufgewachsen sind. Wichtig ist die persönliche Achtung voreinander. In Deutschland argumentieren wir oft sehr sachorientiert. In den meisten anderen Ländern spielt die emotionale Ebene eine größere Rolle. Das müssen beide Seiten verstehen.

 

Welche externen Programme nutzen Sie?

Seit diesem Ausbildungsjahr arbeiten wir mit ausbildungsbegleitenden Hilfen des Internationalen Bundes (IB). Die Einstiegsqualifikanten und Azubis im ersten Lehrjahr erhalten dort einmal in der Woche Unterricht in Deutsch, Wirtschafts- und Sozialkunde. Der Arbeitgeberverband Südwest Metall unterstützt uns künftig mit dem Programm Alpha Grund. Hier kommt ein Deutschlehrer einmal in der Woche in den Betrieb und arbeitet mit den geflüchteten Azubis. Sie sollen hier lernen, Aufsätze auf Deutsch zu verfassen.

Was würde den Betrieben außerdem helfen?

Wir qualifizieren die Flüchtlinge von der Sprachniveaustufe B1 auf B2. Damit erfüllen sie die Voraussetzung für die Ausbildung in unserem dualen System. Mein Wunsch wäre, dass die Flüchtlinge länger in den Vorkursen bleiben könnten und schon mit dem Sprachniveau B2 in die Einstiegsqualifizierung kämen. Schön wäre auch, wenn stärker darauf geachtet würde, dass die Qualifikanten, die zu uns kommen, wirklich technisches Interesse haben. Das würde gerade den Betrieben helfen, die bei der Qualifizierung nicht einen so hohen Aufwand betreiben können wie wir. Ich verstehe aber auf der anderen Seite nicht, dass viele Unternehmen die vorhandenen Angebote nicht nutzen. Denn schließlich brauchen wir die Fachkräfte.

 
 
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