"Nur so kann Vertrauen zwischen Ausbilder und Azubi entstehen"

Auf einen Blick

Bernd Rudel absolvierte nach seiner kaufmännischen Ausbildung ein Hochschulstudium, war im Anschluss daran in einem Schulbuchverlag tätig und arbeitet seit 20 Jahren in der DIHK-Bildungs-GmbH, wo er zur Zeit für sieben Azubis in einem kaufmännischen Beruf verantwortlich ist.

 


Praxisbeispiel

Was sind die größten Herausforderungen bei der Ausbildung von Jugendlichen mit Migrations- oder Fluchthintergrund?

Die größte Hürde ist sicherlich die Sprache, die, je nach Ausbildungsberuf, mehr oder weniger wichtig ist. Wir bilden zum Beispiel für kaufmännische Berufe aus, und da gehört die mündliche wie schriftliche Kommunikation zum Handwerkszeug. Wenn es sprachliche Defizite gibt, erwarten wir eine gewisse Leistungsbereitschaft, sich damit offensiv auseinanderzusetzen. Ausbilder sollten auch darauf achten, dass trotz der vorhandenen kulturellen Unterschiede eine Integration in den Betrieb gelingen kann.

Wie können diese Herausforderungen in der Praxis gemeistert werden?

Eine Voraussetzung ist, dass der Ausbilder oder Personalverantwortliche eine Sensibilität mitbringt. Wer sich mit Jugendlichen mit Migrations- oder Fluchthintergrund beschäftigt, sollte in jedem Fall aufgeschlossen und empathisch sein. Wenn dann trotzdem Probleme auftreten, sollte man sich nicht scheuen, auch externe Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich an entsprechende Beratungsstellen zu wenden. Unsere Auszubildende Sazan Qader, die vor einigen Jahren aus dem Irak kam und zunächst ohne Beschäftigung war, hat bei uns erst einmal eine Einstiegsqualifizierung gemacht – die Vorstufe einer Ausbildung also. Dadurch konnten wir uns gegenseitig kennen lernen und prüfen, ob sie den Anforderungen gewachsen ist. Wir sind dann gemeinsam übereingekommen, dass es funktionieren kann, dass sie aber wegen vorhandener sprachlicher Defizite einen zusätzlichen Deutschförderunterricht benötigt. Den hat sie über einen längeren Zeitraum neben ihrer Arbeit zweimal in der Woche wahrgenommen und ihn erst kürzlich beendet. Der Deal war, dass wir den Förderunterricht finanzieren und sie dafür ihre Freizeitaufwendet.

Wie wichtig ist für Ausbilder die interkulturelle Kompetenz? Was ist das, und wie kann man sie erwerben?

Dieser Begriff ist aus meiner Sicht recht theoretisch. Natürlich sollte man über diese Kompetenz verfügen, weil wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben. Wir haben ja – nicht nur in der Ausbildung – tagtäglich mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu tun. Interkulturelle Kompetenz ist eine Eigenschaft, über die sich jeder Einzelne selbst bewusst werden muss. Dass man also sein Bewusstsein dafür schärft, neugierig und aufgeschlossen sein zu wollen. Für Ausbilder, die sich damit intensiver beschäftigen wollen oder müssen, sind die Kammern gute Ansprechpartner, wo man über Ausbilderarbeitskreise in einen Erfahrungsaustausch treten kann mit anderen Ausbildern aus anderen Unternehmen. Dadurch entstehen regionale Netzwerke, sodass der Ausbilder auch mal schnell zum Hörer greifen kann, wenn Rat und Hilfe benötigt werden.

Muss auch die Belegschaft eines Unternehmens entsprechend vorbereitet werden? Was empfehlen Sie da?

Das ist eine Grundvoraussetzung, wenn Sie Jugendliche mit Migrations- oder Fluchthintergrund zu Fachkräften ausbilden wollen. Bei allen Mitarbeitern muss die Grundbereitschaft vorhanden sein, sich Mühe zu geben und aufgeschlossen zu sein. Bei uns führe ich dann auch mit den ausbildenden Kollegen aus anderen Bereichen Einzelgespräche und sensibilisiere sie dafür, dass da jemand kommt, der vielleicht noch Probleme mit der deutschen Sprache haben kann. Und dass sie deshalb nicht erwarten können, beispielsweise schon von Anfang an tadellose Protokolle zu bekommen, die sie vielleicht von  anderen Azubis gewohnt sind. Dafür gibt es in der Regel auch immer Verständnis. Wenn ich mitbekomme, dass einzelne Kollegen die dafür nötige Mehrbelastung nicht aufbringen wollen, muss ich eingreifen und das Gespräch vertiefen.

Welche Unterschiede machen Sie aus zwischen Azubis mit „normalem“ Migrationshintergrund und Flüchtlingen?

Jugendliche, die schon lange in Deutschland leben oder hier geboren sind, haben weniger Anpassungsschwierigkeiten als Jugendliche, die erst vor kurzem zugewandert sind. Wer neu im Land ist, kann natürlich nicht so viel über uns und unsere Kultur wissen als jemand, der erfahren hat, weshalb wir zum Beispiel Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit legen. Wenn ich das Auszubildenden mit Fluchthintergrund nachvollziehbar erklären kann, kommt das in der Regel auch immer an.

Welche Rollen spielen Stolz, Ehre oder Religion im Umgang mit Azubis mit Migrations- oder Fluchthintergrund?

Keine entscheidenden jedenfalls. Ich erwarte von Jugendlichen, die in der Ausbildung sind, eine offene Begegnung nicht nur untereinander, sondern auch mit ausbildenden Kolleginnen und Kollegen. Dazu gehört, dass sich zum Beispiel männliche Azubis natürlich auch den Anordnungen von Frauen zu fügen haben. Da müssen Ausbilder/-innen wachsam sein und im Einzelfall auch eingreifen. Den Respekt vor Religionen finde ich selbstverständlich – dafür ist es sicherlich hilfreich, wenn Sie als Ausbilder/-in noch etwas informierter sind als andere. Wir hatten vor einiger Zeit eine Auszubildende, die bei den Zeugen Jehovas war. Und die wollte sich vom Religionsunterricht an der Berufsschule befreien lassen und nicht an der betrieblichen Weihnachtsfeier teilnehmen. Ich habe mich dann dazu näher informiert und das auch respektiert.

Wie vermeiden Sie die Gefahr einer Vorzugsbehandlung der Azubis mit Migrationshintergrund gegenüber Azubis ohne?

Für mich sind zunächst einmal alle Azubis gleich, da mache ich keine Unterschiede. Wenn ich allerdings in Situationen komme, in denen ich bestimmte Jugendliche anders behandeln muss als andere, mache ich das so transparent wie möglich und erkläre den Mitauszubildenden, weshalb ein Azubi an der einen oder anderen Stelle mehr Zeit und zusätzliche Aufmerksamkeit braucht. Sie können aber davon ausgehen, dass im Lauf einer dreijährigen Ausbildung jeder Azubi – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – einmal eine solche Vorzugsbehandlung erfährt. Konflikte hat es bei uns deswegen noch nicht gegeben.

Sollten Konflikte möglichst vermieden werden, oder gibt es auch welche, die ausgetragen werden sollten?

Grundsätzlich: Das Arbeitsumfeld ist nicht der geeignete Ort, um größere Konflikte auszufechten. Und persönliche und berufliche Anliegen sollten auch stets voneinander getrennt werden. Persönliche Konflikte können ausgetragen werden, sind aber auch nicht immer lösbar. Wenn es Konflikte gibt, höre ich mir als Ausbilder mit der notwendigen Empathie an, was die Ursachen dafür sind – und gebe im Einzelgespräch eine Art „Lebensberatung“ in meinem bescheidenen Rahmen. Wenn nötig, muss ich auch mit den beiden sprechen, die diesen Konflikt miteinander haben, um zu einer möglichst einvernehmlichen Lösung zu kommen.

Wie gehen Sie als Ausbilder mit Ihrer Autorität um?

Wenn Sie gut ausbilden wollen, müssen Sie selbst als Person glaubwürdig und ehrlich sein. Nur so kann Vertrauen zwischen Auszubildenden und Ausbilder entstehen. Bei uns haben wir einen Azubi-Raum, in dem wir uns einmal in der Woche treffen. In dieser Runde sprechen wir über Themen, die übergreifend die Ausbildung betreffen, geben aber auch jedem Azubi die Gelegenheit, über sich und seine möglichen Probleme in der Ausbildung zu reden. Das führt dann zu einer Diskussion, die ich moderiere. Manchmal muss ich auch Entscheidungen treffen, die nicht jedem schmecken. Wir haben in unserem Ausbildungsunternehmen auch schon einmal ein Ausbildungsverhältnis beendet, weil der betreffende Azubi absolut keine Bereitschaft mehr zeigte, zu lernen oder sich überhaupt anstrengen zu wollen. Aber das ist die Ausnahme geblieben und ganz sicher nicht die Regel. In unserer Azubi-Runde haben wir das Forum, gemeinsam Ausbildung zu reflektieren, sodass sich die Auszubildenden auch untereinander Hilfestellung geben können. Das ist eine Form von Qualität, die durch nichts zu ersetzen ist.

 
 
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