Um seine Rolle als Aufsichtspflichtiger zu verstehen, muss dem Ausbilder klar sein, was Aufsichtspflicht bedeutet. Entscheidend für die Aufsichtsplicht ist zunächst das Alter. Lediglich minderjährige Personen unterliegen einer Aufsichtspflicht. Bei nicht minderjährigen Auszubildenden geht es hingegen um eine Fürsorgepflicht. Die Fürsorgepflicht umfasst alle Maßnahmen, die Sie generell zur Sicherheit Ihrer Mitarbeiter einhalten müssen. Diese Maßnahmen gelten für alle Mitarbeiter. Das sind z. B. die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes und der Arbeitsschutzbestimmungen. Speziell im Ausbildungsverhältnis geht es aber auch um die Förderung angemessenen Verhaltens. Dazu gehören etwa die Förderung charakterlicher Eigenschaften wie Leistungsbereitschaft, Verantwortung, Arbeitsmoral und Selbstbewusstsein.
Bei der Aufsichtspflicht gibt es auch Ausnahmen. Die folgenden Aussagen gelten nicht für Auszubildende mit körperlicher oder geistiger Behinderung.
Bei minderjährigen Personen geht der Gesetzgeber davon aus, dass sie drohende Gefahren alters- und reifebedingt nicht erkennen und nur unzureichend bewerten können. Genauso so gilt das für das eigene Handeln. Von Minderjährigen dürfen Ausbilder also nur eingeschränkt erwarten, dass sie Gefahren einschätzen können, die durch ihr Handeln entstehen - für sie selbst und andere Personen. Wenn Ihnen ein minderjähriger Auszubildender anvertraut wird, übernehmen Sie gegenüber diesem die Aufsichtspflicht. Der Ausbildungsvertrag regelt die Übertragung der Aufsichtspflicht von den Erziehungsberechtigten auf den Ausbilder. Dies gilt selbstverständlich nur während der Arbeitszeit des Auszubildenden. Sie sind also mitverantwortlich dafür, dass der Auszubildende in diesem Zeitraum keinen Schaden erleidet. Was bedeutet das jedoch für die betriebliche Praxis?
Aufsichtspflicht bedeutet nicht, dass Sie sich zu jedem Zeitpunkt in der Nähe eines Auszubildenden aufhalten müssen. Das wird schließlich auch von den Eltern nicht verlangt. Das Alter des Auszubildenden ist der erste Anhaltspunkt dafür, wie intensiv Sie Ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht nachkommen müssen. Wichtiger sind jedoch der persönliche Charakter des Auszubildenden und ob ein möglicherweise schädigendes Verhalten absehbar ist. Maßstab für den Ausbilder sind die persönliche Reife und das erwartbare, "übliche" Verhalten des Auszubildenden. Auf unübliches Verhalten - also Verhaltensweisen, die der Auszubildende bislang nicht gezeigt hat und die für Sie nicht absehbar sind - können Sie schließlich kaum Einfluss nehmen. Ihre Aufsichtspflicht erfüllen Sie, wenn Sie alle Maßnahmen zum Schutz Ihrer Auszubildenden ergreifen, die man von Ihnen erwarten kann. Generell können Sie sich anhand der folgenden drei Begriffe orientieren: belehren, überwachen und ggf. eingreifen.
Belehrung: Sie sind als Ausbilder angehalten, Ihre Auszubildenden in Arbeiten einzuweisen und zu unterrichten. Um der Aufsichtspflicht nachzukommen, muss dies - der Reife entsprechend - in angemessener Art und Weise geschehen. In manchen Fällen müssen Sie deshalb die Belehrung wiederholen oder Folgen möglicher Gefahren und falschen Verhaltens deutlicher aufzeigen. Grundsätzlich kommen Sie durch eine ordentliche Unterweisung Ihrer Auszubildenden der Aufsichtspflicht nach.
Überwachung: Sie müssen auf angemessene Weise prüfen, ob Belehrungen oder Warnungen verstanden wurden. Falls erforderlich, müssen Sie diese wiederholen oder an eine veränderte Situation anpassen (z. B. neuer Arbeitsplatz, neue Kollegen oder Verhaltensänderungen). Auf keinen Fall bedeutet Überwachung, dass Sie Ihre Auszubildenden dauerhaft zu überwachen haben. Minderjährige Jugendliche müssen Sie sogar entsprechend ihrem Reifegrad und ihrem Vertrauensverhältnis zu Ihnen auch sich selbst überlassen. Andernfalls ist eine charakterliche Entwicklung, die im Rahmen der Ausbildung erreicht werden soll, nicht zu erwarten.
Wie Sie Auszubildende in ihrer Selbstständigkeit fördern können, erfahren Sie hier.
Eingreifen: Es kann passieren, dass Auszubildende Ihre Unterweisungen aus Unverständnis oder mutwillig nicht beachten. Dann sind Sie zum Eingreifen verpflichtet. Das sollte, je nach Grund der Nichtbeachtung, in Form einer erneuten Belehrung oder einer Verwarnung geschehen. Machen Sie dem Auszubildenden deutlich, welche Folgen und mögliche Gefahren für ihn selbst oder seine Kollegen aus seinem Verhalten resultieren können.
Gefährliche Arbeiten: Im Rahmen vieler Ausbildungen müssen gefährlichen Arbeiten durchgeführt werden. Hier ist die Überwachung durch den Ausbilder und damit Ihre direkte Anwesenheit verpflichtend. Die Aufgabe kann auch an eine geeignete Person übertragen werden. Die Rolle des Aufsichtführenden sollte hier jedoch eindeutig geklärt werden. Bei Abwesenheit von Aufsichtführenden müssen gefährliche Arbeiten ggf. unterbrochen werden. Bei der Arbeit mit besonders gefährlichen Maschinen müssen diese unter Umständen betriebsunfähig gemacht werden. Um festzustellen, ab wann Aufsicht verpflichtend ist, kann Ihnen die Gefährdungsbeurteilung helfen.
Auffälliges Verhalten: Ihre Aufsichtspflicht schließt auch ein, auffälliges oder gefährliches Verhalten des Auszubildenden zu beobachten und festzustellen ein - zumindest soweit es für Sie erkennbar ist. Das Ausmaß der Aufsichts- und Fürsorgepflicht kann dadurch zunehmen. Wie Sie auffälliges Verhalten erkennen und damit umgehen können, finden Sie in den Wissensbausteinen zu den Themen Alkohol, aggressives Verhalten, Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, Clique, Drogen, Essstörungen, Häusliche Gewalt, Mobbing, Selbstverletzung, Stoffgebundene Suchtmittel, Über- oder Unterforderung und Verunsicherung.
Bei der Ausbildung geflüchteter Menschen sollten Sie Ihrer Aufsichtspflicht in besonderem Maß nachkommen. Hier machen einige Faktoren eine intensivere Betreuung notwendig. So sollten Sie bei Menschen, die die deutsche Sprache erst lernen, besonders genau überprüfen, ob Ihre Belehrung wirklich verstanden wurde. Hier müssen Sie die Instrumente Belehrung und Überwachung verstärkt einsetzen. Selbst wenn die Alltagskommunikation gut funktioniert, kann es insbesondere in fachlichen, berufsbezogenen Gesprächen zu Verständigungsproblemen kommen. Außerdem müssen Sie davon ausgehen, dass Auszubildende eventuell aus Scham nicht zugeben, etwas nicht verstanden zu haben. Eine Möglichkeit, die Kommunikation zu verbessern und sich hinsichtlich der Aufsichtspflicht besser abzusichern, ist, mit Bildern zu arbeiten. Insbesondere beim Aufzeigen möglicher Gefahren kann diese Methode helfen. Aber auch für alltägliches Verhalten eignet sich dieser Weg. Das funktioniert etwa mit entsprechenden Bildern, Warndreiecken und anderen spezifischen (Gefahren-)Symbolen. Diese können Sie den generellen Anweisungen für Ihre Auszubildenden hinzufügen oder Sie bringen sie direkt an den entsprechenden Einrichtungen und Arbeitsplätzen an. Behalten Sie dabei immer im Hinterkopf, dass Ihre neuen Auszubildenden häufig aus einer völlig anderen Arbeitskultur kommen. Selbst die einfachsten Arbeitsschutzmaßnahmen, wie z. B. das Tragen von Schutzhandschuhen, Rauchverbot am Arbeitsplatz oder das Benutzen von Atemschutzmasken, sind für die neuen Auszubildenden kein selbstverständliches Wissen. Setzen Sie es also auch nicht voraus.